"Die unverdünnte Hölle"....

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    • "Die unverdünnte Hölle"....

      Menschen mit
      Behinderungen werden in Deutschland ausgegrenzt und in Sonderschulen,
      Werkstätten und Heime abgeschoben. Nun tritt eine Uno-Konvention in
      Kraft, der ein radikales Umdenken folgen müsste. Doch die
      Bundesregierung signalisiert: Alles soll so bleiben, wie es ist
      .

      Als Carolin aussortiert wird, ist sie drei Jahre alt. Ein Amtsarzt stellt
      bei ihr "sonderpädagogischen Förderbedarf" fest, weil das Mädchen noch
      immer nicht laufen kann. Die Eltern freuen sich. Die Krankengymnastik,
      die der Mediziner verschreibt, tut ihrer Tochter gut.
      Sie können
      nicht wissen, dass sie an diesem Tag das Schicksal ihres Kindes aus der
      Hand geben. Das Gutachten ist von nun an untrennbar mit dem Leben der
      Tochter verbunden. Carolin ist gekennzeichnet, die zweite Wahl, wie
      fehlerhaftes Porzellan.
      "An diesem Tag ist die
      Aussonderungsmaschinerie angelaufen, wir haben das damals nur noch
      nicht begriffen", sagt Inge Kirst, Carolins Mutter. Wie hätte sie auch
      ahnen sollen, dass ein Mensch mit "sonderpädagogischem Förderbedarf"
      sein Recht auf Teilhabe an der Gesellschaft, sein Recht auf Bildung,
      sein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben verloren hat?
      Carolin
      ist heute 15 Jahre alt. Sie bewegt sich schwerfällig und unsicher wie
      eine alte Frau. Das Mädchen leidet unter einem seltenen Gendefekt, der
      die Muskeln schwächt und die Motorik behindert. Carolin kann nur mit
      einem Rollator laufen, bei längeren Strecken ist sie auf den Rollstuhl
      angewiesen. Und sie spricht langsamer als andere Kinder, weil auch das
      Sprechen motorisch gesteuert wird. Schnelles Denken verhindert die
      Motorik aber nicht.
      Carolin hat alle Harry-Potter-Bücher gelesen,
      sie schwärmt für den Hauptdarsteller im "High School Musical 3", und
      seit sie im Fernsehen "Die Frau vom Checkpoint Charlie" gesehen hat,
      interessiert sie sich für die Geschichte der DDR. Ihr Privatvergnügen.
      In der Schule, die sie besucht, steht so etwas Anspruchsvolles wie die
      jüngere deutsche Geschichte nicht auf dem Stundenplan.
      In
      Carolins Ordner mit dem Lehrstoff der Klasse acht sind zwischen ein
      paar simplen Rechenaufgaben des kleinen Einmaleins viele Rezepte
      abgeheftet: Lasagne, Muffins und Nudelsalat mit Thunfisch. "Wir haben
      dauernd gekocht und Tischmanieren geübt", sagt sie genervt. Einen
      Aufsatz zu verfassen oder ein Diktat zu schreiben, hat nie einer von
      ihr verlangt.
      Seit acht Jahren besucht Carolin eine Sonderschule
      für Körperbehinderte. Das Schulamt hat das "nach Aktenlage" bestimmt.
      Kinder mit "sonderpädagogischem Förderbedarf" werden diesen Schulen
      auch gegen den Willen der Eltern zugewiesen, "zu ihrem Besten, für eine
      optimale Förderung", wie das Schulamt betont. "Wir fördern jedes Kind
      nach seinen Möglichkeiten", haben auch die Lehrer versichert. Inge
      Kirst weiß inzwischen, dass das nicht stimmt.
      Wer in Deutschland
      die Sonderschule besucht, hat seine Chancen auf einen akademischen
      Abschluss praktisch verloren. In dieser Schulform, die sich heute
      Förderschule nennt, erreichen 0,2 Prozent aller Schüler das Abitur. 77
      Prozent von ihnen schaffen nicht einmal den Hauptschulabschluss. Ein
      Grund: Der Wechsel von der Förder- in die Regelschule findet so gut wie
      nie statt. Wer die Sonderschule absolviert, darf sich auf ein
      Berufsleben in der Behindertenwerkstatt freuen.
      Carolin teilt ihr
      Schicksal mit 84 Prozent aller Kinder mit "sonderpädagogischem
      Förderbedarf" - ob taub, blind, lern-, geistig- oder körperbehindert,
      sie alle landen auf der Sonderschule. Im internationalen Vergleich ist
      Deutschland damit Europameister im Aussortieren. Im EU-Durchschnitt
      lernen rund 80 Prozent der Kinder mit Behinderung an Regelschulen.
      Italien hat die Sonderschulen abgeschafft."
      mehr dort :
      wissen.spiegel.de/wissen/dokum…%2BMEDIA&qcrubrik=artikel






      lg
      Eule4
      "So sehr die Gegenwart sich um den Beweis ihrer Alternativlosigkeit auch bemüht, wird sie dennoch von der Zukunft abgelöst."


      Felix Kriwin