Leitziel des Wiener Kongresses....

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    • Leitziel des Wiener Kongresses....

      Einschneidende Veränderungen für Liebe und Erotik brachte
      in der Folgezeit der Wiener Kongreß von 1815 mit sich. Das
      Geschlechtsleben, so wurde nun, besonders unter dem
      Einfluß Metternichs, gefordert, sollte fortan nur noch so
      vor sich gehen, wie es von der katholischen Kirche für gut
      geheißen wurde. Konkret bedeutet das: Liebe und Erotik
      waren nur zulässig als Mittel zum Zweck der ehelichen
      Zeugung von Nachkommen. Alles, was darüber hinausging, war
      verpönt und wurde als Sünde gebrandmarkt. In den deutschen
      Landen führte das zu der Epoche, die als „Biedermeier“
      bezeichnet wird. Und in Großbritannien begann das
      „Viktorianische Zeitalter“. Leitziel war die „bürgerliche
      Wohlanständigkeit“. Die Ehe galt als Grundlage der
      Familie und die Familie als Grundlage der menschlichen
      Gemeinschaft. Und das geordnete Familienleben könnte, so
      wurde seinerzeit propagiert, die Ordnung im Staat
      gewährleisten. Liebe und Erotik wurden damit kanalisiert
      und in die Bahnen von Ehe und Familie gelenkt.



      Das, was in den Augen von Sittlichkeitsaposteln als
      unanständig oder unsittlich bezeichnet wurde, konnte
      infolgedessen nur noch im Verborgenen blühen. Also ging
      das Laster in den Untergrund. Prostitution und
      Homosexualität starben keineswegs aus. Im Gegenteil: sie
      wucherten mehr denn je. Die Zahl der Prostituierten im
      Jahre 1860 in Paris wurde bis auf 120.000 geschätzt.
      London hatte um die gleiche Zeit etwa 50.000.



      Neben der Möglichkeit, Triebbefriedigung bei
      Prostituierten zu finden, suchte sich der nicht
      befriedigte Drang nach Liebe und Erotik Ersatz in der
      überladenen Ausstattung der Bürgerhäuser einerseits und in
      der Gefräßigkeit und Völlerei der Spießbürger
      andererseits. Daher ist seit der „Gründerzeit“ eine
      deutliche Zunahme von Schwerleibigkeit festzustellen – bei
      Männern und Frauen übrigens gleichermaßen. Männer und
      Frauen kompensierten die unterdrückte Sexualität also
      gleicherweise: die einen durch „Völlerei“, die anderen
      durch „Genäschigkeit“ (Naschsucht).

      lg
      Eule4
      "So sehr die Gegenwart sich um den Beweis ihrer Alternativlosigkeit auch bemüht, wird sie dennoch von der Zukunft abgelöst."


      Felix Kriwin
    • Aber auf Dauer ließ sich Eros nicht unterdrücken

      und gab
      sich nicht länger mit Kompensation zufrieden: er versuchte
      sich wieder direkt zu befriedigen. Seinen Ausdruck fand
      das seit dem Jahrzehnt vor der Wende vom 19. zum 20.
      Jahrhundert zum einen in einem enormen Umsichgreifen der
      Homosexualität in Europa. Zum zweiten brach sich die
      unterdrückte Erotik Bahn in den zunehmenden
      Bordellbesuchen. Die Bordelle um die Jahrhundertwende
      waren üppig eingerichtet und mit allen nur erdenklichen
      Annehmlichkeiten ausgestattet, um den sexuell frustrierten
      Spießbürger auf seine Kosten kommen zu lassen. Das
      besonders Pikante hierbei war, daß nicht nur
      hauptberufliche Prostituierte ihre Kunden bedienten,
      sondern daß auch Ehefrauen, die der Langeweile des
      bürgerlichen Ehelebens zu entfliehen versuchten,
      stundenweise in den Bordellen ihre Dienste anboten.
      Dadurch konnte es gelegentlich zu dem einen oder anderen
      unerwarteten Zusammentreffen kommen. (Eindrucksvoll
      gestaltet hat diesen Sachverhalt Luis Bunuel in seinem
      Film „Belle de Jour“ von 1967 mit Catherine Deneuve und
      Michel Piccoli.)
      "So sehr die Gegenwart sich um den Beweis ihrer Alternativlosigkeit auch bemüht, wird sie dennoch von der Zukunft abgelöst."


      Felix Kriwin
    • In eine Krise anderer Art wurde Eros

      durch den ersten
      Weltkrieg gestürzt. Dadurch, daß die Männer an der Front
      waren und – wenn überhaupt – allenfalls für ein paar Tage
      nach Hause kamen, kam es zur Entfremdung der Partner.
      Erschwerend trat hinzu: Die Soldaten befriedigten ihren
      Eros in eigens eingerichteten Feldbordellen, was die
      Frauen dazu veranlaßte, ihrerseits Liebschaften
      einzugehen. Aus all dem resultierte eine ernsthafte Krise
      der Ehe in den 1920er Jahren. Zwar wurde auch damals und
      in der darauffolgenden Zeit nach wie vor die Ehe als
      Standardmodell für die Bedürfnisse nach Liebe und Erotik
      beschworen. Gleichwohl versuchte Eros sich von den ihm
      auferlegten Zwängen zu befreien. Dabei half ihm der
      Kinsey-Report der Jahre 1948 und 1953, der das Ergebnis
      erbrachte, ca. 86% aller erwachsenen Amerikanerinnen und
      Amerikaner praktizieren Liebe in Formen, denen sie
      öffentlich ablehnend gegenüberstanden. Oder, anders
      gesagt: 4/5 aller Amerikanerinnen und Amerikaner verstoßen
      permanent gegen ihr eigenes Sittengesetz. Die danach
      feststellbaren Lockerungen der Ansichten über Liebe und
      Erotik führten in der westlichen Welt dazu, daß sich Eros
      mehr und mehr von den Zwängen der Prüderie und den
      Einengungen überholter Vorstellungen löste und beiden
      Geschlechtern das Recht auf uneingeschränkte
      Triebbefriedigung zugestanden wurde. Der Weg wurde frei
      für die sogenannte „sexuelle Revolution“ der 1960er Jahre,
      die in den USA ihren Anfang nahm und rasch auch Europa
      überrollte. Im Zuge dieser sexuellen Revolution kam es zu
      einer Loslösung von überkommener Sexualmoral und
      entsprechenden Verhaltensweisen.
      "So sehr die Gegenwart sich um den Beweis ihrer Alternativlosigkeit auch bemüht, wird sie dennoch von der Zukunft abgelöst."


      Felix Kriwin
    • Mit Blick auf die Gegenwart

      kann man wohl festhalten:
      Liebe und Erotik sind heute vielfach ihres romantischen
      Flairs entkleidet. Für viele Menschen bedeuten sie nichts
      weiter als eine Sexualbeziehung, bei der beide Partner auf
      ihre Kosten kommen. Das vereinfacht wohl einiges im Umgang
      der Geschlechter miteinander. Die vielleicht wichtigste
      Änderung dürfte diejenige sein, daß der Mann nicht mehr um
      die Frau zu werben braucht. Heute ergreifen Frauen ebenso
      selbstverständlich die Initiative, wie es jahrhundertelang
      der Mann getan hatte. Begünstigt wurde das natürlich auch
      durch die Entwicklung der „Pille“, die erstmals
      hundertprozentigen Schutz bot und der Frau die Kontrolle
      über Empfängnis und Empfängnisverhütung in die Hand gab.



      Auch wenn es gegenwärtig so aussieht, als hätten sich
      Liebe und Erotik von allen Zwängen befreit, so sollte doch
      nicht verkannt werden, daß immer wieder neue auf den Plan
      treten. Einer ist wohl mit der Standardisierung der
      Schönheit gegeben, wie sie Männern und Frauen
      gleichermaßen von den Medien vorgeführt wird. Diese
      Standard-Schönheit nimmt in zweifacher Weise Einfluß auf
      Liebe und Erotik. Erstens definiert sie im voraus den
      Gegenstand der Leidenschaft – und genau damit
      entpersönlicht sie ihn. Und zweitens disqualifiziert sie
      eine Beziehung, wenn die Partnerin oder der Partner von
      dem vorgegebenen Standard abweicht.



      Ich möchte das zum Abschluß mit einem Beispiel belegen.
      Wissenschaftler der Arizona State University erforschten
      (1983) die Wirkung, die das Betrachten von Nacktfotos in
      Zeitschriften wie Playboy, Penthouse,
      Playgirl und dergleichen hat. Das Ergebnis war:
      Männer wie Frauen fanden im Anschluß an die Betrachtung
      dieser Fotos ihre eigenen Partner weitaus weniger
      attraktiv – weil sie sie jetzt nämlich an vorgegebenen
      Standards von dem messen, was als „schön“ und „erotisch“
      gilt.



      Damit schließe ich meine Ausführungen und hoffe, dieser
      Streifzug durch die Jahrhunderte hat ein wenig Licht
      darauf geworfen, warum es um Liebe und Erotik heute so
      steht, wie es um sie steht.
      "So sehr die Gegenwart sich um den Beweis ihrer Alternativlosigkeit auch bemüht, wird sie dennoch von der Zukunft abgelöst."


      Felix Kriwin