"
Ein Mann, eine Granate
Ein
Berliner mit psychischen Problemen beklagt sich über seine Betreuer -
und landet auf der Anklagebank. Denn seinen Beschwerden hatte er mit
einer Handgranate Nachdruck verleihen wollen. Von Uta Eisenhardt
Er habe einen Streit mit
Rechtsanwälten, teilte der Anrufer mit tiefer Stimme und Berliner
Dialekt dem Polizeibeamten mit. Es ginge um 400 Euro, die ihm zustünden
und von seinem betreuenden Anwalt nicht ausgezahlt würden. Er wisse
aber, wo dieser zu Mittag esseund wolle das Problem am nächsten Tag
selbst erledigen - mit einer Handgranate. Rein vorsorglich wolle er
seine Absicht heute schon über den polizeilichen Notruf bekannt geben.
Die Polizei kennt den psychisch kranken Mann. "Die steht einmal in der
Woche bei ihm", sagt sein Betreuer, dem die angedrohte Granate gelten
sollte. Die Beamten nahmen dem Verwirrten nach dem Anruf das
Tatwerkzeug - sein Handy - ab und brachten ihn in die Psychiatrie. Ein
Jahr später sitzt Mike Wendland* in erstaunlich ausgeglichener Stimmung
vor dem Richter, um zu klären, wie es zum Vortäuschen einer Straftat
und dem Missbrauch von Notrufen kam.
"Ick war wütend, wissen Sie"
"Na ja, ick hab
mich über meinen Betreuer jeärgert", sagt der bärtige 45-Jährige mit
der großporigen Haut. Mit rundem Rücken und gescheiteltem dunkelblonden
Haar sitzt er hinter der Balustrade auf dem Platz für die inhaftierten
Angeklagten. Die Woche vor der Verhandlung musste er im Gefängnis
verbringen - weil er zum vorherigen Termin nicht erschien.
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"Ick war wütend, wissen Sie"
, sagt Wendland dem Richter. "Und in der
Wut sagt man allet, wat man nich so meint, kennen Sie ja." Er habe
damals für eine Waschmaschine und einen Fernseher ein Darlehen von 400
Euro beantragt. Das Geld habe ihm sein Betreuer jedoch nicht
ausgezahlt. "Ick brauche die Kohle, dit is Zweckentfremdung!", sagt der
Angeklagte. Als er an jenem Tag zum dritten Mal bei seinem Vormund
anrief, habe dieser ihm gedroht, er werde in zehn Minuten einige
Freunde zu Wendland schicken. Die würden ihm erklären, was passiere,
wenn er noch einmal anrufen würde.
"Da kann ick nich ruhig bleiben"
"Da kann ick nich ruhig bleiben", sagt der Angeklagte. "Ick war schon öfter stinksauer auf meinen Betreuer. Ick hätte ihn schlaen können, aber bin ick nich der Typ für. Normalerweise
tu ick keiner Fliege wat zu Leide. Können Sie meene Ex-Freundin fragen,
die hat zwee Kinder. Denen habe ick noch nich mal ne Schelle jejeben!
Ick hätte schon so oft ausrasten können. Wat meinen Sie, wat ick hätte
allet anstellen können? Ich hätte mir ne Handgranate besorgen können.
Wenn man will, kriegt man allet!"
Drei Jahre war der damalige Rechtsanwalt sein Vormund,
der sechste in über zehn Jahren. Zur Gerichtsverhandlung erscheint der
Siebente. "Jedes Mal funktioniert dit mit die Leute nich", sagt
Wendland. Es störe ihn, dass in seiner Wohnung nichts passieren würde.
Die Pumpe der Dusche sei kaputt und sein Herd altersschwach. "Ick soll
absaufen oder abbrennen!", beschwert sich der Angeklagte. "Wozu hab ick
denn Leute, die sich um mich kümmern sollen und jutes Jeld dafür
kriegen?"
"Er ist nicht zu betreuen"
"Mit mir hat man so
viel Jeld vadient", sagt Wendland. "Die Medikamente haben mich krank
jemacht, meine janze Krankheit ist künstlich erzeugt worden. Ick wurde
in eine chemische Zwangsjacke jesteckt, damit ick mich nich wehren
kann. Dit war schon so schlimm, dat ick nich mehr Schach spielen
konnte! Wissen Sie, wat ick da jeschädigt worden bin? Dit jeht in die
Millionen!" Vor zehn Wochen habe er seine Medikamente abgesetzt,
seitdem gehe es ihm blendend.
"Muss der Betreuer so funktionieren, wie Sie wollen",
will der Richter wissen. "Na selbstverständlich, dit erwart ick, dit
setz ick voraus!", lautet die Antwort. "Wie ist es denn mit dem
aktuellen Betreuer", fragt der Richter weiter. "Bin ick unzufrieden",
lautet die Antwort. "In den drei Monaten, die wir uns kennen, war er
schon drei Mal im Urlaub. Dit kann ick mir nich leisten." Sein
aktueller Vormund erklärt, er habe bereits den Antrag gestellt, die
Betreuung für Mike Wendland aufzuheben, "weil er nicht zu betreuen ist.
Der will sein ganzes Geld für einen Monat haben und steht dann eine
Woche später vor Ihnen und droht, Ihnen die Kehle durchzuschneiden."
"Ick bin doch jesund!"
Seit 13 Jahren leide der
Angeklagte an einer schizo-affektiven Psychose, sagt die Gutachterin,
die ebenfalls an der Verhandlung teilnimmt. Sie attestiert Mike
Wendland eine verminderte Schuldfähigkeit. Aufgrund seiner Krankheit
fühle dieser sich verfolgt und zu allem fähig. Er habe keine
Krankheits- und Behandlungseinsicht. Die Psychiaterin staunt, wie gut
es dem Angeklagten heute geht: "Das heißt aber nicht, dass er sich
stabilisiert hat. Er wird wieder manisch werden." Sie bedauert, dass er
seine Medikamente nicht nimmt. "Wieso denn", ruft Wendland dazwischen.
"Ick bin doch jesund!"
Der Angeklagte habe ein großes Aggressionspotential,
sagt die Gutachterin. Ob Körperverletzungsdelikte von ihm zu erwarten
sind, erkundigt sich der Staatsanwalt. Würde die Gutachterin diese
Frage bejahen, müsste das Gericht darüber entscheiden, ob Wendland in
eine geschlossene Psychiatrie für Rechtsbrecher einzuweisen ist. Einen
solchen Delikt hält sie jedoch für wenig wahrscheinlich. "Meist bleibt
es bei verbalen Bedrohungen."
18 Einträge im Strafregister
"Ick würde mich
jern mal dazu äußern", sagt der Angeklagte. "Frau Doktor sagt nich die
Wahrheit! Woher wollen Sie wissen, dat ick krank bin? Sie kennen mich
nich. Sie kennen mich nur aus de Papiere! Ick bin besser ausjebildet in
Psychologie als diese Frau! Ick habe die Menschen studiert, 13 Jahre
lang, in Kliniken, im Heim, im Jugendknast. Wenn einer die Menschen
richtig kennt, dann bin ick det!"
18 Einträge weist Wendlands Strafregister auf. Es ist
eine bunte Mischung aus Schwarzfahren, Betrug, Diebstahl, Beleidigung
und Nötigung. Vor vier Jahren bedrohte und schlug der Angeklagte seine
Nachbarn. Er kassierte dafür acht Monate Haft zur Bewährung, die noch
bis November läuft. "Dit darf man nich überbewerten", erklärt der
Angeklagte. "Dit war Notwehr. Dit waren zu viele Leute, die jegen mich
ausgesagt haben. Wat soll ick machen?"
"Ick will ooch in Zukunft vernünftiger werden"
Trotz
Wendlands Vorstrafen möchte der Staatsanwalt weder die Bewährung für
den Angeklagten widerrufen, noch ihn dauerhaft in die Psychiatrie
einweisen lassen: "Das gibt der Schuldgehalt seiner Tat nicht her. Mit
diesen Straftaten muss die Allgemeinheit leben", so der Ankläger. Er
fordert 900 Euro (60 Tagessätze) Geldstrafe und die Einziehung des
Tatwerkzeuges, das Wendland eigentlich wieder haben wollte, um es zu
verkaufen.
Erfreut stimmen der Verteidiger und der Angeklagte
diesem Vorschlag zu, den der Richter dann in seinem Urteil bestätigt.
"Ick will ooch in Zukunft vernünftiger werden, hab ick mir
vorjenommen", sagt Mike Wendland. "Ick will wieder arbeiten und ein
glücklicher Mensch werden."
hmmm...
eule
Ein Mann, eine Granate
Ein
Berliner mit psychischen Problemen beklagt sich über seine Betreuer -
und landet auf der Anklagebank. Denn seinen Beschwerden hatte er mit
einer Handgranate Nachdruck verleihen wollen. Von Uta Eisenhardt
Er habe einen Streit mit
Rechtsanwälten, teilte der Anrufer mit tiefer Stimme und Berliner
Dialekt dem Polizeibeamten mit. Es ginge um 400 Euro, die ihm zustünden
und von seinem betreuenden Anwalt nicht ausgezahlt würden. Er wisse
aber, wo dieser zu Mittag esseund wolle das Problem am nächsten Tag
selbst erledigen - mit einer Handgranate. Rein vorsorglich wolle er
seine Absicht heute schon über den polizeilichen Notruf bekannt geben.
Die Polizei kennt den psychisch kranken Mann. "Die steht einmal in der
Woche bei ihm", sagt sein Betreuer, dem die angedrohte Granate gelten
sollte. Die Beamten nahmen dem Verwirrten nach dem Anruf das
Tatwerkzeug - sein Handy - ab und brachten ihn in die Psychiatrie. Ein
Jahr später sitzt Mike Wendland* in erstaunlich ausgeglichener Stimmung
vor dem Richter, um zu klären, wie es zum Vortäuschen einer Straftat
und dem Missbrauch von Notrufen kam.
"Ick war wütend, wissen Sie"
"Na ja, ick hab
mich über meinen Betreuer jeärgert", sagt der bärtige 45-Jährige mit
der großporigen Haut. Mit rundem Rücken und gescheiteltem dunkelblonden
Haar sitzt er hinter der Balustrade auf dem Platz für die inhaftierten
Angeklagten. Die Woche vor der Verhandlung musste er im Gefängnis
verbringen - weil er zum vorherigen Termin nicht erschien.
[Blockierte Grafik: http://m1.emea.2mdn.net/viewad/817-grey.gif]
"Ick war wütend, wissen Sie"
, sagt Wendland dem Richter. "Und in der
Wut sagt man allet, wat man nich so meint, kennen Sie ja." Er habe
damals für eine Waschmaschine und einen Fernseher ein Darlehen von 400
Euro beantragt. Das Geld habe ihm sein Betreuer jedoch nicht
ausgezahlt. "Ick brauche die Kohle, dit is Zweckentfremdung!", sagt der
Angeklagte. Als er an jenem Tag zum dritten Mal bei seinem Vormund
anrief, habe dieser ihm gedroht, er werde in zehn Minuten einige
Freunde zu Wendland schicken. Die würden ihm erklären, was passiere,
wenn er noch einmal anrufen würde.
"Da kann ick nich ruhig bleiben"
"Da kann ick nich ruhig bleiben", sagt der Angeklagte. "Ick war schon öfter stinksauer auf meinen Betreuer. Ick hätte ihn schlaen können, aber bin ick nich der Typ für. Normalerweise
tu ick keiner Fliege wat zu Leide. Können Sie meene Ex-Freundin fragen,
die hat zwee Kinder. Denen habe ick noch nich mal ne Schelle jejeben!
Ick hätte schon so oft ausrasten können. Wat meinen Sie, wat ick hätte
allet anstellen können? Ich hätte mir ne Handgranate besorgen können.
Wenn man will, kriegt man allet!"
Drei Jahre war der damalige Rechtsanwalt sein Vormund,
der sechste in über zehn Jahren. Zur Gerichtsverhandlung erscheint der
Siebente. "Jedes Mal funktioniert dit mit die Leute nich", sagt
Wendland. Es störe ihn, dass in seiner Wohnung nichts passieren würde.
Die Pumpe der Dusche sei kaputt und sein Herd altersschwach. "Ick soll
absaufen oder abbrennen!", beschwert sich der Angeklagte. "Wozu hab ick
denn Leute, die sich um mich kümmern sollen und jutes Jeld dafür
kriegen?"
"Er ist nicht zu betreuen"
"Mit mir hat man so
viel Jeld vadient", sagt Wendland. "Die Medikamente haben mich krank
jemacht, meine janze Krankheit ist künstlich erzeugt worden. Ick wurde
in eine chemische Zwangsjacke jesteckt, damit ick mich nich wehren
kann. Dit war schon so schlimm, dat ick nich mehr Schach spielen
konnte! Wissen Sie, wat ick da jeschädigt worden bin? Dit jeht in die
Millionen!" Vor zehn Wochen habe er seine Medikamente abgesetzt,
seitdem gehe es ihm blendend.
"Muss der Betreuer so funktionieren, wie Sie wollen",
will der Richter wissen. "Na selbstverständlich, dit erwart ick, dit
setz ick voraus!", lautet die Antwort. "Wie ist es denn mit dem
aktuellen Betreuer", fragt der Richter weiter. "Bin ick unzufrieden",
lautet die Antwort. "In den drei Monaten, die wir uns kennen, war er
schon drei Mal im Urlaub. Dit kann ick mir nich leisten." Sein
aktueller Vormund erklärt, er habe bereits den Antrag gestellt, die
Betreuung für Mike Wendland aufzuheben, "weil er nicht zu betreuen ist.
Der will sein ganzes Geld für einen Monat haben und steht dann eine
Woche später vor Ihnen und droht, Ihnen die Kehle durchzuschneiden."
"Ick bin doch jesund!"
Seit 13 Jahren leide der
Angeklagte an einer schizo-affektiven Psychose, sagt die Gutachterin,
die ebenfalls an der Verhandlung teilnimmt. Sie attestiert Mike
Wendland eine verminderte Schuldfähigkeit. Aufgrund seiner Krankheit
fühle dieser sich verfolgt und zu allem fähig. Er habe keine
Krankheits- und Behandlungseinsicht. Die Psychiaterin staunt, wie gut
es dem Angeklagten heute geht: "Das heißt aber nicht, dass er sich
stabilisiert hat. Er wird wieder manisch werden." Sie bedauert, dass er
seine Medikamente nicht nimmt. "Wieso denn", ruft Wendland dazwischen.
"Ick bin doch jesund!"
Der Angeklagte habe ein großes Aggressionspotential,
sagt die Gutachterin. Ob Körperverletzungsdelikte von ihm zu erwarten
sind, erkundigt sich der Staatsanwalt. Würde die Gutachterin diese
Frage bejahen, müsste das Gericht darüber entscheiden, ob Wendland in
eine geschlossene Psychiatrie für Rechtsbrecher einzuweisen ist. Einen
solchen Delikt hält sie jedoch für wenig wahrscheinlich. "Meist bleibt
es bei verbalen Bedrohungen."
18 Einträge im Strafregister
"Ick würde mich
jern mal dazu äußern", sagt der Angeklagte. "Frau Doktor sagt nich die
Wahrheit! Woher wollen Sie wissen, dat ick krank bin? Sie kennen mich
nich. Sie kennen mich nur aus de Papiere! Ick bin besser ausjebildet in
Psychologie als diese Frau! Ick habe die Menschen studiert, 13 Jahre
lang, in Kliniken, im Heim, im Jugendknast. Wenn einer die Menschen
richtig kennt, dann bin ick det!"
18 Einträge weist Wendlands Strafregister auf. Es ist
eine bunte Mischung aus Schwarzfahren, Betrug, Diebstahl, Beleidigung
und Nötigung. Vor vier Jahren bedrohte und schlug der Angeklagte seine
Nachbarn. Er kassierte dafür acht Monate Haft zur Bewährung, die noch
bis November läuft. "Dit darf man nich überbewerten", erklärt der
Angeklagte. "Dit war Notwehr. Dit waren zu viele Leute, die jegen mich
ausgesagt haben. Wat soll ick machen?"
"Ick will ooch in Zukunft vernünftiger werden"
Trotz
Wendlands Vorstrafen möchte der Staatsanwalt weder die Bewährung für
den Angeklagten widerrufen, noch ihn dauerhaft in die Psychiatrie
einweisen lassen: "Das gibt der Schuldgehalt seiner Tat nicht her. Mit
diesen Straftaten muss die Allgemeinheit leben", so der Ankläger. Er
fordert 900 Euro (60 Tagessätze) Geldstrafe und die Einziehung des
Tatwerkzeuges, das Wendland eigentlich wieder haben wollte, um es zu
verkaufen.
Erfreut stimmen der Verteidiger und der Angeklagte
diesem Vorschlag zu, den der Richter dann in seinem Urteil bestätigt.
"Ick will ooch in Zukunft vernünftiger werden, hab ick mir
vorjenommen", sagt Mike Wendland. "Ick will wieder arbeiten und ein
glücklicher Mensch werden."
hmmm...
eule
"So sehr die Gegenwart sich um den Beweis ihrer Alternativlosigkeit auch bemüht, wird sie dennoch von der Zukunft abgelöst."
Felix Kriwin
Felix Kriwin