Was ist pharmakologisches Enhancement?

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    • Was ist pharmakologisches Enhancement?

      heise.de/tp/r4/artikel/31/31302/1.html

      Wegen der besonderen Bedeutung des Artikels stelle ich ihn hier fast zur Gänze ein...
      "
      Eine Expertengruppe hat versucht, die zukünftige Rolle von "Neuro-Enhancement" zu verorten


      Es wohnt eine feine Ironie in der Aufforderung, anhand der
      psychoaktiven Substanzen die Fragen des gelingenden Lebens wieder neu
      zu diskutieren. Die Diskussion um die sogenannten "kognitiven Enhancer"
      und das "Neuro-Enhancement" erinnert ein wenig an die 60er Jahre, als
      mit den Psychedelika wie LSD und Psilocybin plötzlich Wirkstoffe zur
      Verfügung standen, die tief in die Psyche eingreifen, und mittels
      derer, so hofften manche, ein neues Zeitalter, wenn doch nicht
      eingeläutet, so doch zumindest unterfüttert werden konnte. Heute sind
      die Ziele bescheidener, es geht um die Steigerung der geistigen
      Leistungsfähigkeit und die positive Modifikation der Stimmung.
      Gleichwohl lässt sich aus der frühen Vergangenheit lernen, welche
      Mechanismen greifen, wenn es um die pharmakologischen Beeinflussung des
      menschlichen Geistes geht.



      Den Verfassern des [Blockierte Grafik: http://www.heise.de/tp/r4/icons/inline/extlink.gif]Memorandums
      ist zu gratulieren, nicht nur, weil zum ersten Mal im
      deutschsprachigen, vielleicht sogar im internationalen Kontext, die
      pharmakologischen und soziologischen Entwicklungen rund um das
      Neuro-Enhancement (NE) zusammenfassend eingeordnet und zugleich die
      zentralen Fragen gestellt wurden. Wichtig war auch festzustellen, dass
      trotz aller Medienberichte keine belastbaren Daten zur Verbreitung von
      Enhancement existieren. Was die individuellen und sozialen
      Rahmenbedingungen und spezifisch pharmakologischen Effekte der
      vermeintlichen neuen Substanzen angeht, sind einige Ergänzungen zu
      leisten, um die Diskussion weiterhin fruchtbar zu halten.



      Zentral für die Beurteilung von psychoaktiven
      Wirkstoffen, seien es legale Medikamente oder illegale Drogen, ist
      zweierlei: Zum einen der Grundsatz "Keine Wirkung ohne Nebenwirkung".
      Noch fehlen Langzeitstudien zu den Enhancern, es fehlen auch praktische
      Erfahrungen mit Hardcore-Usern, die meinen, erst mit hohen Dosierungen
      gut funktionieren zu können. Es wäre eine positive Überraschung, wenn
      hier tatsächlich neue Wirkstoffe existieren würden, die, dem Koffein
      ähnlich, bei vernünftiger Dosierung wenig Nachteile mit sich bringen.
      Methylphenidat (Ritalin) beispielsweise ist sicher nicht so ein
      Wirkstoff, der Kleinwuchs der Konsumenten ist bewiesen. Zum anderen
      sind psychoaktive Substanzen immer auch ein Produkt, eine simple Ware,
      die den Gesetzen des Marktes gehorcht. Die ökonomischen Dimension des
      NE wird an Bedeutung gewinnen, wenn sich die Medikamente zukünftig
      tatsächlich auf dem Markt durchsetzen.


      Dass nun ausgerechnet Ritalin und Modafinil und die anderen primär
      leistungssteigernden Medikamente dazu beitragen sollen, einen kreativen
      Umgang mit sich selbst und seinen Mitmenschen zu fördern, wie das die
      Autoren wünschen, verwundert. Wer die Mittel schon einmal probiert hat,
      wird bestätigen, dass einem da nicht das Herz aufgeht, sondern man eher
      die Pobacken zusammen kneift, um es mal lapidar zu formulieren.
      Funktion und Wille stehen im Vordergrund, genau deshalb wurde
      beispielsweise Modafinil bei den britischen Truppen in Afghanistan und
      Irak eingesetzt. Methylphenidat ist ein enger Verwandter von Amphetamin
      ("Speed") und steht ebenfalls nicht in dem Ruf, emotional wertvolle
      Prozesse anzuschieben.

      Eliminierung unerwünschter Persönlichkeitseigenschaften


      Von was reden wir also, wenn wir von kognitiven Enhancern sprechen?
      Doch in erster Linie von Substanzen, die Menschen stromlinienförmig im
      Arbeitsalltag agieren lassen. Und geht es nicht um Arbeit, so geht es
      um die Eliminierung unerwünschter Persönlichkeitseigenschaften; eine
      seltsames Phänomen unserer Zeit, die droht, aus jeder kleinen Macke ein
      behandlungswürdiges Syndrom zu machen. Hier spielen Psychologen,
      Wissenschaftler, Ärzte und Pharma-Unternehmen eine Rolle, sie alle
      tragen dazu bei, dass der Katalog der psychischen Krankheiten immer
      länger wird. Christopher Lane hat in seinem Buch "Shyness: How Normal
      Behavior Became a Sickness" gut beschrieben, welche Kräfte bei der
      Transformierung der Schüchternheit in die behandlungswürdige
      Sozialphobie am Werk waren.



      Noch etwas muss bedacht werden. Der Begriff der
      "Kognition" wird im Zusammenhang mit NE so unscharf verwendet, dass
      viel gemeint sein kann, praktisch aber nur wenig erreicht wird.
      Durchhaltevermögen und Konzentrationsfähigkeit mögen mit diesen Mitteln
      zeitweise verbessert werden, die Hoffnung aber, dass damit das
      Kurzzeit- oder gar Langzeitgedächtnis gefördert werden können, haben
      sich nicht bestätigt.



      Vereinfacht gesagt war die Annahme: Weil bestimmte
      Medikamente Demenzkranken helfen, müssen sie auch bei Gesunden wirken.
      Aber es ist eben ein Unterschied, ob man ein chemisch aus der Balance
      geratenes Gehirn wieder zu Normalform zurückleiten will oder aber ein
      korrekt funktionierendes Gehirn optimieren möchte. Der Körper scheint
      evolutionär bedingt eine recht effektive Balance zu halten, deren
      Modifikation von uns als Verbesserung, vom Körper selbst aber als
      Störung interpretiert werden kann. Es kann darüber spekuliert werden,
      ob die von den Autoren erwähnten Methoden wie Meditation aufgrund ihrer
      langer Tradition nicht viel behutsamer und auf lange Sicht effektiver
      wirken. Der Körper und sein Gehirn, so lässt sich weiter vermuten, kann
      sich an die neuen Prozesse besser gewöhnen und nimmt sie nicht als
      Gleichgewichtsstörung wahr, die er auszugleichen sucht.






      Antriebsdrogen für die Leistungsgesellschaft



      Wie soll nun die Gesellschaft mit NE und seinen pharmakologischen
      Substraten umgehen? Die Autoren des Beitrags sehen zunächst den
      Einzelnen am Zug. Er soll sich fragen, weshalb er einen Neuro-Enhancer
      im Einzelfall einnimmt. Auf die individuelle Redlichkeit zu setzen ist
      zwar im liberalen Gemeinschaftsgefüge richtig, aber natürlich ist der
      Einzelne in seinen Entscheidungen stark beeinflusst: Nämlich durch die
      Rahmenbedingungen der Gesellschaft, in der er lebt. Grenzziehungen der
      individuellen Redlichkeit zu überlassen, ist eine Methode, sie
      funktioniert nur bedingt in einer Gesellschaft, die im "Schneller,
      Höher, Weiter" ihr Seelenheil sieht.



      Es ist kein Zufall, dass die im Beitrag diskutierten Substanzen wie
      Modafinil und Ritalin eben keine kreativen oder gar spirituellen
      Enhancer sind, sondern pure Antriebsdrogen. Ihr transformierendes
      Potential ist gering, Kritiker vermuten daher nicht zu unrecht, dass
      sie auch deshalb noch nicht in die Schusslinie der drogenpolitischen
      Wächter geraten sind. Aber das Geschrei wird groß sein, wenn die erste
      bayerische Klassenreise statt auf Wodka-Red Bull auf Modafinil gesetzt
      hat. Und dann, so viel lässt sich vorhersagen, greifen nicht die
      wissenschaftliche Diskurse, sondern die klassischen Mechanismen von
      Schuldzuweisung, Sündenbocksuche und Verteufelung. Spätestens dann wird
      auch das Stichwort der "Einstiegsdroge" fallen.



      Die Frage ist also, wie man die Fehler und
      Verbotsreflexe der herkömmlichen Drogenpolitik verhindert. Noch umwebt
      die Neuro-Enhancer ein klinisch reiner Schein, ein Phänomen, das sich
      nach dem Abgleiten in den Schwarzmarkt mit seinen hinlänglichen
      bekannten Begleitphänomenen sofort verändern würde. Es wären nicht die
      ersten Substanzen, die den Weg vom Medikament über den Geheimtipp bis
      hin in die Schmuddelecke genommen hätten. Es sind eben primär die
      Konsummuster, die jede Substanz, jedes Medikament, ja, jedes Objekt zum
      Suchtmittel werden lassen können. Max Goldt wollte nicht nur
      herumalbern, als er eine Fiktion von einer alljährlichen Injektion von
      reinem Heroin in einer gepflegten Schweizer Bergklinik entwarf, in der
      ihm nach mehrtägigem Aufenthalt die Krankenschwestern zum Abschied
      winken.

      Neuroenhancer Kokain?

      Sicher steht es im Rechtsstaat jedem grundsätzlich frei, "über sein
      persönliches Wohlergehen, seinen Körper und seine Psyche selbst zu
      bestimmen", wie die Autoren schreiben. Nur hat diese Freiheit halt ihre
      Schranken, nämlich dort, wo die Freiheiten und Rechte Anderer betroffen
      sind. Es ist diese rechtliche Konstruktion, die spezifische
      psychoaktive Substanzen auf der Verbotsliste landen lässt, weil ihr
      potentieller Nutzen im Vergleich zu ihrem potentiellen
      gesamtgesellschaftlichen Schaden als gering beurteilt wird.



      Um es mal provokativ zu drehen: Der von manchen Intellektuellen als
      Neuro-Enhancer genutzte Wirkstoff Kokain steht deshalb im
      Betäubungsmittelgesetz, weil eine Ausbreitung seines Konsums als sozial
      zersetzend gilt. Was damit gesagt werden soll? Dass sich an der
      Reglementierung und vernünftigen Einbettung des Konsums psychoaktiver
      Substanzen die akzeptierende wie konservative Drogenpolitik seit
      Jahrzehnten die Zähne ausbeißt. So entstehen zwar viele Probleme erst
      durch die Kriminalisierung der Konsumenten, auf der anderen Seite hören
      die Verelendungsprozesse von Heroin-Konsumenten durch die freie
      Zugänglichkeit zur Reinsubstanz nicht auf.......usw." ?(

      lg
      Eule4
      "So sehr die Gegenwart sich um den Beweis ihrer Alternativlosigkeit auch bemüht, wird sie dennoch von der Zukunft abgelöst."


      Felix Kriwin

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