Nur bei einem Suizid so viel Geschrei

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    • Nur bei einem Suizid so viel Geschrei

      Jedenfalls in Deutschland. Und auch nur, weil Robert Enke so berühmt war. Ein Torwart von Hannover96, so was geht gar nicht. Großes Geschrei, Tamtam und Programmänderungen. Bei der Telekom haben sich 25 Menschen das Leben genommen. Und kein Hahn kräht danach!

      Mein damaliger Freund ist vor 2 Jahren gestorben, aber im Sommer. Es hieß, er hätte sich umgebracht. Da war nicht mal ein kleiner Artikel in der Zeitung. Nur ne banale Todesanzeige. Kein Hinweis auf Depressionen oder n kleiner Nachruf, oder Todesursache. Nix.

      Bei berühmten Personen machen sie so nen Aufriss. Und wenn sich ein normaler Bürger ohne Titel und ohne Allüren um die Ecke bringt, schreiben sie nicht mal Todesursache oder Berufsbezeichnung rein.

      Die Menschen sind doch alle gleich viel wert!

      Und wo sich 25 Leute umbringen, wahrscheinlich im Konkurrenzkampf Versagensängste oder Mobbing, gibts nicht mal ne Untersuchungskommission?! Nicht mal einen Bericht?

      Aber bei Robert Enke jeden Tag ne Trauerfeier. Wann hört das endlich auf! Wann berichten die Zeitungen auch mal von nicht Berühmten, um die Bevölkerung aufzurütteln! Muss da erst einer aus der Nationalliga Selbstmord begehen, um zu erkennen, dass der Leistungssport einen Menschen zermürben kann? Bei Sven Hannawald wurde ja auch geholfen. Er konnte aussteigen. Das kann nicht jeder, will auch nicht jeder. :sterbekrank:

      Also ich finde, solche Gedenkgottesdienste wie den im Fernsehen mit "Man kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hand" finde ich ermutigend auch für Menschen, die Selbstmordgedanken haben weil sie meinen, versagt zu haben oder Schulden oder gekündigt worden sind. Sie sollten so was Ähnliches öfter bringen, und jeder Suizid sollte im Fernsehen derart kommentiert und beleuchtet werden wie der von Robert Enke.

      Denn hinter jedem Suizid steckt ein Mensch. Und alle Menschen sind wertvoll und wichtig.
      Liebe Grüße
      Schlumpfmaus


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      Wer nicht im Stande ist, etwas zu tun, der ist in der Lage, sich zu beschweren. Letzteres verhindert den Stand.
    • du hast recht, schlumpfi, aber:

      -- menschen mit depressionen bringen sich leider oft um und das erscheint auch häufig in den medien, wenn es um depressionen geht. leider wären die zeitungen jeden tag voll von solchen meldungen...
      -- es gibt eine regel im journalismus: so wenig wie möglich und so wenig detailliert wie möglich über suizide berichten, um nachahmungsselbstmorde zu verhindern.
      bei berühmten personen ist es anders, da kann man oft diese regel nicht einhalten.
      auch in der u-bahn sagt man nicht an, dass sich jemand vor eine u-bahngarnitur geworfen hat. "nach einem unfall mit personenschaden kommt es zu längeren wartezeiten" gibt man bei uns solche ereignisse an...

      das alles heißt m.e. nicht, dass ein suizid eines unbekannten menschen weniger traurig ist, als der einer promimenten person.
    • Schon klar, aber ich meine ja auch nicht die Art der Selbsttötung mit detaillierterem Bericht, sondern darüber, was für ein Mensch das war und die Gründe, warum er es getan hat. Es gibt Gründe, auch bei Depressiven, die sogar manchmal nicht-Depressive nachvollziehen können. Trotzdem hilft es den Betroffenen nach dem Tod natürlich nicht mehr. Es soll ja auch helfen, solche tragischen Taten zu vermeiden, indem mehr auf die persönliche Lage eingegangen wird. Damit sich die Menschen darauf besinnen, wie kostbar das Leben ist und wie wertvoll jeder Einzelne, nicht nur Berühmtheiten wie Enke.
      Liebe Grüße
      Schlumpfmaus


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      Wer nicht im Stande ist, etwas zu tun, der ist in der Lage, sich zu beschweren. Letzteres verhindert den Stand.
    • ob er nun bipolar war oder unipolar depri oder noch ein

      bisschen Borderline dazu - was spielt das denn für eine Rolle ?
      Entscheidend ist, dass ALLE psychische Krankheiten ( am meisten wohl immer noch die Schizophrenie und die Epilepsie) mit einem faustdicken TABU belegt sind in der heutigen Gesellschaft...
      Das zeigt sich schon allein daran, dass selbst bei spiegelonline ein Artikel wie
      Tabuthema Depression

      Zu müde fürs Leben

      spiegel.de/panorama/gesellschaft/0,1518,661041,00.html

      kaum mehr als einige Stunden im "Erscheinungsbild" verbleibt, weil dies ganz offensichtlich die "mainstreamleser" abschreckt, obwohl es gut 5 Millionen Depressive Menschen allein in D gibt....(also 6.25 % der Bevölkerung - wenn ergo also alle Depressiven wählen gingen, könnten sie eine eigene Partei in den Bundestag schicken - nur ist bei denen selbst wohl die Wahlmüdigkeit am Grössten...)
      Irgendwie scheint jedem Normalopathen beim Lesen solcher Artikel ein eiskalter Schauer über den Rücken zu laufen, der ihm sagt "Du könntest der nächste sein, der psychisch krank wird"....

      lg
      Eule4
      "So sehr die Gegenwart sich um den Beweis ihrer Alternativlosigkeit auch bemüht, wird sie dennoch von der Zukunft abgelöst."


      Felix Kriwin

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Eule4 ()

    • Ich weiß ja, was ich täte anstelle des R. Enke. Damit nicht noch Lokführer und die Leute reingezogen werden, die die Überreste von den Schienen kratzen müssen. Und wo. Aber das werde ich niemandem auf die Nase binden, und glaube auch nicht, dass meine Verzweiflung jemals so weit gehen könnte. Das habe ich übrigens 2003 und 2005 auch ne Zeitlang gedacht. In der Manie denkt man an so was gar nicht.

      Aber jeder kennt die depressiven Zeiten, und wenn es mir richtig schlecht geht, schreibe ich sogar Abschiedsbriefe, die ich irgendwann ausdrucken und für den "Wenn-Fall" in die Schublade legen will. :sterbekrank:

      Ob oder wann einen einer findet, spielt natürlich auch ne Rolle. Das Geschrei wird nicht so groß sein, es steht dann auch nur ne stille Anzeige in der Zeitung, und is ne kleine Beerdigung mit vielleicht 10 Männekieken. Trotzdem habe ich was aus meinem Leben gemacht, und ich will wenigstens 3 Bücher veröffentlicht haben, vorher werde ich mir dieses "Privileg, meinen Todeszeitpunkt selbst zu wählen", versagen.
      Liebe Grüße
      Schlumpfmaus


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      Wer nicht im Stande ist, etwas zu tun, der ist in der Lage, sich zu beschweren. Letzteres verhindert den Stand.
    • @ Schlumpfmaus

      Ich habe erstmals 1992 von einer mir persönlich Bekannten gehört, dass sie sich diesem wirklich grausamen und erschreckenden "Ritual" unterzogen hat...Für meine Begriffe steckt gerade im "sich vor einen Zug werfen" auch die grösste Anklage gegen die Umwelt drin...
      Das hübsche Mädchen aus der Station 4a klagte damals schon, dass die Psychiater dort sie "mit allem möglichen Zeug vollpumpen würden" und sie das nicht mehr aushielte, weil sie sich nicht mehr "als sich selbst fühle" dabei...
      Zu allem Unglück hatte sie auch noch Eltern, die eingefleischte Anhänger der "neuapostolischen Kirche" waren/sind.
      Also konnte sie nur noch zu ihrer Tante, nachdem sie damals aus Hirsau geflüchtet war.
      Aber die Tante war nicht zu hause zufällig und da ging sie direkt zum Bahngleis...

      Der ultrareiche Herr Merkle war ein weiteres Beispiel...

      Und nun eben Herr Paul Enke - es werden noch viele weitere folgen -
      denn noch viele weitere bringen sich bereits feige mit rauchen, saufen oder Drogen LANGSAM um...
      Die Gesamtzahl der Selbstmörder/Innen ist also effektiv um ein Vielfaches höher, als die tatsächlichen jährlichen Zahlen des statistischen Bundesamtes... X(
      (die knapp 150 000 Nicotin- und Alkoholtote kämen noch hinzu - Heroin und sämtliche andere Tote von illegalen Drogen fallen da gar nicht mehr nennenswert ins Gewicht !, rangieren noch unter den Autoverkehrstoten !)
      und dürfte in den nächsten Jahren kaum geringer werden durch ein neue Regierung, die wieder
      neoliberale Ideen wie eine "Kopfpauschale" verfolgt und die solidarische Sozialversicherung
      abschaffen will...
      Vielleicht wachen sie dann endlich auf, die "mittelständischen Normalopathen" - ich fürchte aber, eher nicht...
      ihre Verdummung ist doch wohl zu sehr fortgeschritten bereits...

      lg
      Eule4
      "So sehr die Gegenwart sich um den Beweis ihrer Alternativlosigkeit auch bemüht, wird sie dennoch von der Zukunft abgelöst."


      Felix Kriwin

      Dieser Beitrag wurde bereits 2 mal editiert, zuletzt von Eule4 ()

    • Wegen so einen bisschen selbstmord regt man sich auf
      muss ja eh ein jeder einmal sterben
      und wenn einer nicht mehr leben will dann soll er sich halt wegräumen
      hat ja keinen sinn sich dann noch weiter leidvoll durchs leben zu schleppen
      und feige sich mit rauchen und saufen umbringen
      wieso nicht - was ist denn daran feige? das ist "eine" legale art sich das leben zu nehmen
      ich saufe und rauche ja auch - aber durchaus nicht immer
      kann schon sein, dass ich auch mal 14 tage pause mache
      ich habe durchaus keine lust mich damit umzubringen - sind ja auch meine leberwerte völlig normal
      war aber nicht immer so - in meinen krisenzeiten hatte ich dann schon mal einen gamma gt von etwas über 700!prr dann hab ich mich aber eingebremst
      ein bekannter von mir, der durchaus nicht wie ein alkoholiker ausgesehen hat hatte schon 2500! der war auch durchaus kein selbstmörder
      aber das hat der nicht überlebt
      heuer ist auch eine freundin von mir an leberzirrhose gestorben im 39. lebenjahr die moni - sehr fesche frau gewesen
      die war auch durchaus früher keine alkoholikerin - überbelastungen waren ganz einfach schuld daran
      scheidung, 2 kinder, beruf wo man nichts verdiend, auto braucht man auch um zur arbeit zu kommen
      dann der alkohol um wenigstens ein wenig zu entspannen - dann unzuverlässig bei der arbeit - kündigung - noch mehr saufen - dann wurden ihr die kinder weggenommen - totsaufen!
      kurz vor ihrem tod war ich noch im krankenhaus bei ihr - sie konnte kaum mehr sprechen - der bauch ganz angeschwollen - ensetzlich
      an dem tag bin dann aber auch ich nicht mehr unbesoffen nach hause gekommen
      na ja diesbezöglich habe ich schon einiges erlebt
      auch die elke ist im 40. lebensjahr gestorben - gehirnblutung
      meine ex liegt auch schon auf dem friedhof (47) krebs
      bald gehen mir die weiber aus?
      aber nö - 2 habe ich noch
      die ernie - auch bipolar - aber ich denke wir haben dann das ärgste überstanden (eine rackerei ist das diese psychotherapie) obwohl sie erst vorige woche einen unfall baute - eingeschlafen - aber kein unfallgegner nur leitschiene
      aber die polente und der notarztwagen waren auch bald da - alkoholtest - gott sei dank 0,0 - drogentest
      gott sei dank war das auto sowieso nichts mehr wert
      ja und dann habe ich noch die regina (auch schwer krank) und die ist bei mir ein dauerbrenner seit über 31 jahren (1 kind)
      schön langsam werde ich sozusagen monogam
      ist vielleicht eh das beste - nervenschonend
      gruß: der böse franz
    • ich find's positiv... - ...aber v.a. die FACHLEUTE sollten die Chance nutzen!!

      Mich erstaunt die Reaktion hier völlig...

      ...ich persönlich empfinde es als durchaus POSITIV, dass durch Enkes Suizid endlich einmal eine ÖFFENTLICHE DISKUSSION stattfindet. Das erste Mal wird Depression nicht als "Schwäche" sondern als (tödliche) KRANKHEIT anhand eines ganz konkreten Schicksals (nicht nur theoretisch) thematisiet.

      [Obwohl mich die mediale "Aufbereitung" teilweise etwas schockiert hat und ich diese auch nach wie vor mit gemischten Gefühlen verfolge: Alle journalistischen "Empfehlungen", wie mit diesem Thema umgegangen werden sollte, wurden plötzlich - quasi über Nacht - über den "Haufen geschmissen". Das liegt wohl nicht nur (bzw. so sehr) an Enkes "Berühmtheit", sondern auch an dem großen wirtschafltichen Druck, dem die Medien ausgesetzt sind. Welches Medium will in wirtschaftlich harten Zeiten, in denen der Kampf um seine Zuschauer/Leser quasi "überlebensnotwendig" ist, noch mit "Zurückhaltung" glänzen? KEINES. Denn es bringt keine Einschaltquoten bzw. Leser und somit auch kein Geld. Medien sind auch nur privatwirtschaftliche Unternehmen, die ums Überleben kämpfen (auch der sogen. öffentl. rechtl. Rundfunk hat seine Funktion als "meritorisches Gut" schon längst aufgegeben). - ...aber das ist eigentlich ein ganz anderes Thema...]

      Bisher war Suizid ein absolutes Tabuthema... - ....wohl auch wegen des stillschweigenden Konsens seitens der Medien -aufgrund des sogenannten "Werther-Effekts" - kaum bis keine Berichterstattung abzudrucken bzw. zu senden. Wie sich diese "völlig entuferte" Berichterstattung (genaue Beschreibung der Methode, Titelseite, etc.) tatsächlich auswirken wird, werden die "Zahlen" zeigen.

      Dennoch bleibe ich dabei, dass ich es positiv finde, wie offen nun viele (auch völlig unbekannte) Menschen nun in den Medien über ihr Schicksal berichten KÖNNEN. ....Vielleicht regt es "Nicht-Betroffene" doch zum Nachdenken an ....und vielleicht wird damit die Krankheit auch gesellschaftlich etwas "akzeptierter".

      Absolut enttäuschend fand ich in diesem Zusammenhang die Reaktion der Politik, die wieder einmal mehr bewiesen hat, einer gesellschaftlichen TATSACHE kaum Augenmerk zu schenken. Es zeigt ganz deutlich wie "unwichtig" der "leistungsschwächere" Teil der Bevölkerung für den derzeitigen "Liberalismus-Wahn" ist.

      Dass die Suizidraten rund um die Wirtschaftskrise in den 30er Jahren des vorigen Jhd. explodiert sind, weil es keine bis kaum soziale Absicherung gab, wurde (soweit ich es verfolgt habe) nicht ein einziges Mal auch nur irgendwie erwähnt.

      Ganz im Gegenteil: Meiner Meinung nach wird v.a. die "biologische Komponente" - insbesondere seitens der "Fachleute" - nahezu überbetont. Die "soziale Komponente", wie beispielsweise der Aspekt der Leistungsgesellschaft, die mangelnde Miteinbeziehung der Angehörigen in den therapeutischen Prozess, die unzureichende soziotherapeutische (ganz konkrete) Hilfestellung, etc. etc. wird dabei leider NUR VON BETROFFENEN oder deren Angehörigen thematisiert. Diesbezüglich MUSS dringend ein UMDENKEN in den sogenannten "FACHKREISEN" stattfinden!! Wenn nicht dort - wo dann??? Bei diesem Thema sind die FACHLEUTE die "OPINION LEADER", leider nicht die Betroffenen!

      P.S.: ein sehr gutes Beispiel dafür "Suizidalität" auf den klinischen Bereich zu reduzieren findet man in folgenden "Konsensus", der ziemlich deutlich macht, dass auch Psychiater anscheinend nicht fähig sind "über ihren Tellerand" hinauszublicken. Frei nach dem Motto: "als Arzt muss ich mir über soziale Phänomene nicht den Kopf zerbrechen". Die Tatsache, dass ein Psychiater ganz andere Aufgaben als ein Chirurg erfüllt, wird dabei sehr gut verdrängt *hahaha* (Freud lässt grüßen):

      medical-tribune.at/mm/Konsensus_Suizidalitaet.pdf

      lg punkt
    • Hi
      Ich seh das ganz ähnlich wie Punkt
      Man sollte das pragmatisch sehen. Natürlich ist einerseits es seltsam, daß ein Mensch so massiv betrauert wird und um einen anderen kräht kein Hahn, weil ihn kaum jemand kannte. Andererseits aber es ist positiv, wenn über so einen öffentlich gemachten Fall das Bewußtsein in der Bevölkerung erweitert werden kann, und so wie die Frau vom Enke das gemacht hat, ging das gleich in die richtige Richtung.

      Durch die Diskussionen wird unter anderem mal deutlich gemacht, daß Depressionen eben nicht eine Schwäche sind, sondern eine Krankheit, die unter Umständen jeden treffen und beherrschen kann. Ganz gleich, wie erfolgreich, leistungsstark, gutausehend, stinkreich und obendrein noch mit liebenden und stützenden Angehörigen ausgestattet man ist.
      Und daß dieses gesellschaftlich verbreitete abwertende Herabsehen auf Depressive und das Nichtanerkennnen als Krankheit die Situation für die Betroffenen immer nur verschlimmert und die Ausweglosigkeit zuspitzt. Es ist kontraproduktiv, einem Depressiven noch Schuld und Schwäche obendrauf zu laden.

      Vor längerer Zeit hat Boris mal eine tollen Satz an einen um Rat fragenden Angehörigen geschrieben, der ging ungefähr so ähnlich: "Lass ihr Jammern zu und widersprich ihr nicht, sie versucht damit nur, sich von dem ungeheuren Leidensdruck zu erleichtern". Ich glaube, es ist eins der allerwichtigsten Dinge im Umgang mit Depressiven, daß man nicht ihr Leid zu unterdrücken versucht, denn das geht nach hinten los.
    • Offenbarung eines Depressiven

      "
      Nackt im Eiswasser
      "
      spiegel.de/panorama/gesellschaft/0,1518,661554,00.html

      Der Einfachheit halber stelle ich den Text mit ein....

      "
      Er trug selbst in dunklen Räumen eine
      Sonnenbrille und aß mit Stöpseln in den Ohren, weil er das Klappern des
      Bestecks nicht ertrug: SPIEGEL-ONLINE-Mitarbeiter Hendrik Steinkuhl quälten jahrelang schwere Depressionen - bis ein Arzt das richtige Medikament fand. Bericht von einer Rückkehr ins Leben.



      Ich habe
      Robert Enke
      einmal live gesehen, er spielte beinahe vollendet. Diese Reflexe, diese
      enorme Konzentration, aber vor allem: Wie er nach einem Gegentor sofort
      aufstand und völlig unaffektiert seine Mitspieler aufbaute.

      Gern hätte ich das Spiel genossen, aber irgendwann wollte ich nur noch
      weg. Ich dachte, es ginge mir wieder besser. Dann stand ich in der
      Halbzeitpause Schulter an Schulter mit den Fans vor der Pinkelrinne,
      und diese körperliche Nähe, die mich früher nicht kümmerte, brachte
      mich fast um den Verstand.
      Als ich hinter dem Stadion von Hannover 96 verzweifelt einen Baum
      und etwas Ruhe suchte, litt ich bereits seit zwei Monaten an einer
      schweren Depression.
      Bis ich endlich das richtige Medikament fand, sollte es noch über zwei
      Jahre dauern. In dieser Zeit war mein Leben nichts als Kampf. Wenn ich
      auch nie geplant habe, mich umzubringen, weiß ich, wie es sich anfühlt,
      wenn man einfach nicht mehr sein will.

      Robert Enkes Depressionen waren von anderer Art als meine. Wir
      bekamen, um mit C. G. Jung zu sprechen, Besuch von derselben Dame in
      Schwarz. Doch während die Dame bei mir monatelang und für jeden
      sensiblen Beobachter sichtbar hauste, aber auch wieder auszog, besuchte sie Robert Enke wohl über Jahre hinweg immer wieder, und das weitgehend unerkannt für andere Menschen.



      Verheerende Mischung


      "Dysthymie" heißt diese Form der Krankheit, Robert Enkes Arzt
      benutzte den vielleicht inzwischen überholten Begriff "neurotische
      Depression". Wegen ihrer Dauer, und weil sie so schwer als klinische
      Melancholie auszumachen ist, halten manche Experten die Dysthymie für
      gefährlicher als die klassische Depression. Robert Enkes Selbstmord ist
      dafür der traurige Beleg.

      Ob dysthym oder "normal" depressiv - die meisten Menschen, die unter
      Depressionen leiden, verbindet eine verheerende Mischung aus
      genetischer Vorbelastung, Kindheitstraumata und potentiell
      selbstschädigenden Eigenschaften: Perfektionismus, Neigung zu
      übertriebener Selbstkritik und sicher auch die fehlende Fähigkeit zu
      vergessen.

      Ich bringe die meisten dieser negativen Vorzeichen mit. Sie alleine
      hätten mich noch nicht krank gemacht. Doch die ungünstige Mischung
      bekam ausreichend Nahrung, um mich von innen zu zerfressen, als mich
      mein Leben vor dreieinhalb Jahren heillos überforderte. Eine Verwandte
      starb, meine Beziehung zerbrach, Geschwister erkrankten, Freunde
      litten, alles innerhalb weniger Wochen, und ich stand hilflos daneben.

      Bei mir in Behandlung


      Ich wusste, was Depressionen sind. Als erst alle Farbe aus meinem
      Leben verschwand, und ich dann jede Nacht gegen drei mit Todesangst
      aufwachte, ahnte ich, dass es mich erwischt hatte. Ich ließ mich an
      einen Psychiater überweisen, der mir ein Antidepressivum verschrieb.
      Ich hatte auch einige Stunden Therapie. Aber nachdem ich meine
      Therapeutin, die im Rollstuhl saß, eine Stunde lang über ihre Krankheit
      ausgefragt hatte, sprach sie in den kommenden Sitzungen ausschließlich
      über sich. Ich brach ab und ging bei mir selbst in Behandlung.

      Weil mir die Kraft zum Joggen fehlte, machte ich Spaziergänge und
      befragte mich an den besseren Tagen, wie ich in dieses Loch gerutscht
      war. Mehr als alles andere half mir das Buch "Das heimatlose Ich" von Holger Reiners, der selbst 20 Jahre lang depressiv war.


      "Eine schwere Depression ist nicht nur eine vorübergehende Zäsur",
      schreibt er, "sie markiert das Ende des bisher gelebten Lebens, ohne
      auch nur die Konturen eines neuen anzubieten." Durch Reiners wurde mir
      klar, dass ich mich von Illusionen verabschieden musste. Es gibt
      Menschen, denen ich nicht helfen kann, es gibt Beziehungen, die nicht
      mehr zu retten sind. Jede schwere Depression hat ihre typischen
      Charakteristika: die Gefühlsverödung, die Antriebshemmung oder den
      Verarmungswahn. Trotzdem ist jeder anders depressiv.


      Ich trug Ohrenstöpsel, weil ich das Besteckklappern nicht ertrug


      Ich kenne zum Beispiel niemanden, der wie ich unter einer so starken
      Reizoffenheit gelitten hat. Selbst in abgedunkelten Räumen trug ich
      Sonnenbrille, beim Essen mit meiner Familie benutzte ich Ohrenstöpsel,
      weil ich das Besteckklappern nicht ertrug. Nach drei Monaten reiner
      Schwermut ging es mir langsam besser.

      Plötzlich bekam ich von meiner eingeschalteten Zimmerlampe keine
      Kopfschmerzen mehr, ich hatte Lust auf Falco und hörte nicht mehr den
      ganzen Tag Nick Cave. Nach einem halben Jahr fühlte ich mich stabil und
      setzte das Medikament ab. Viel zu früh.

      Ich rutschte zurück in die Depression, und wie bei den meisten
      verlief dieser Prozess so schleichend, dass ich es nicht merkte. Es
      ist, als ob die Körpertemperatur jeden Tag um ein Zehntel Grad sinkt,
      und irgendwann wacht man auf, steht nackt im Eiswasser und hat keine
      Ahnung, wie man da hingekommen ist.


      Dunkelheit, Schmerzen und das Warten auf Nacht


      Meine neue Depression hatte mit der alten nur noch den Namen gemein.
      Es gab keine Spaziergänge es gab kein Denken mehr, es gab nur noch
      Dunkelheit, Schmerzen und das Warten auf die Nacht, in der ich endlich
      schlafen konnte und ein paar Stunden Ruhe vor mir selbst hatte.

      Freunde beklagten sich: Wenn es mir schlecht gehe, solle ich doch
      anrufen und mit ihnen über meine Probleme sprechen. Doch solche
      Probleme hatte ich nicht. Konflikte und Überforderungen führen zwar in
      die Depression, dann aber wird man von einem autonomen System regiert,
      das einem jede Sekunde die totale Sinnlosigkeit jeglichen Seins und
      Handelns erklärt.

      Ab einer gewissen Schwere der Depression geht es dann nur noch um
      eines: überleben. Die einzige, die ich immer ertrug, war die
      wundervolle Anne. Sie hat sofort verstanden, dass sie nichts tun
      konnte, außer da zu sein. Und das war sie, obwohl ich mich in der
      ersten Depression von ihr getrennt hatte.


      Die Ärzte haben versagt


      Meine Ärzte haben mit einer Ausnahme komplett versagt. Der erste
      unterschätzte meine Depression völlig und verschrieb mir dann ein
      falsches Medikament, weil er mich mit einem anderen Patienten
      verwechselte.

      Der nächste verweigerte mir ein modernes, aber gängiges Antidepressivum, weil es ihm zu teuer war.

      Der renommierte Chefarzt einer Privatklinik schließlich sah bei mir
      keinerlei Ansatz für eine Gesprächstherapie und sagte, ich könne mich
      sowieso "auf Rückschläge noch und nöcher" gefasst machen.

      Ich bin keine Ausnahme, die ärztliche Versorgung von Depressiven in
      Deutschland ist eine Katastrophe. Ich weiß von Psychiatern, die die
      erfolgreichen modernen Medikamente nicht einmal kennen, und es gibt
      immer noch zahlreiche Kliniken, die Depressive aus reiner
      Bequemlichkeit mit Tranquilizern ruhigstellen.

      Ich hatte Glück, dass ich irgendwann einen Arzt fand, der mich ernst
      nahm. Aus reiner Notwehr hatte ich so viel über die Behandlung von
      Depressionen gelesen, dass ich für jeden anderen Psychiater eine
      Bedrohung war. Mein neuer Arzt hatte keine Allüren, mit ihm konnte ich
      offen über meine Medikation diskutieren.


      Tagelanges Erbrechen


      Wir probierten alles aus: Trevilor, Reboxetin, Abilify, Cipralex,
      ich hatte unzählige Nebenwirkungen, von tagelangem Erbrechen bis hin zu
      dem Gefühl, Elektroschocks zu bekommen. Am Ende half mir Lamotrigin,
      das ursprünglich für Epileptiker entwickelt wurde. Nachdem ich es drei
      Wochen lang genommen hatte, konnte ich endlich wieder arbeiten; wenn
      auch nur vier bis fünf Stunden täglich und unter enormer Anstrengung.

      Im Vergleich zu den vergangenen drei Jahren geht es mir heute gut.
      Die Depression ist weg, allerdings leide ich noch an Restsymptomen wie
      Konzentrationsstörungen oder schneller Ermüdung. Andere Menschen,
      selbst die, die mich gut kennen, merken davon nichts. Natürlich hadere
      ich manchmal damit, dass mir die Krankheit drei Jahre meines Lebens
      geklaut hat.

      Es gab zwar auch helle Stunden, die ich dann meist wie besessen zum
      Schreiben ausgebeutet habe; mit Leben hatte das alles aber nichts zu
      tun. Trotzdem klingt die Rede von der "Krankheit als Chance" für mich
      nicht nach Phrase. Ich habe viel gelernt - auch, Entscheidungen nicht
      mehr zu zergrübeln.

      Als ich gefragt wurde, ob ich über meine Depression schreiben wolle,
      habe ich sofort zugesagt. Es gelingt mir allerdings nicht, Robert Enkes
      Selbstmord irgendetwas Gutes abzugewinnen, auch wenn durch ihn viele endlich verstanden haben, dass die Depression eine tödliche Krankheit sein kann.

      Ich war selbst Torwart, ich habe Robert Enke schon mit 14 bewundert
      und tue es bis heute. Dass er tot ist, habe ich noch nicht ganz
      begriffen. Und wenn ich es tue, wird er mir furchtbar fehlen.
      "
      lg
      Eule4
      "So sehr die Gegenwart sich um den Beweis ihrer Alternativlosigkeit auch bemüht, wird sie dennoch von der Zukunft abgelöst."


      Felix Kriwin
    • RE: ob er nun bipolar war oder unipolar depri oder noch ein

      Eule4 schrieb:

      bisschen Borderline dazu - was spielt das denn für eine Rolle ?
      Entscheidend ist, dass ALLE psychische Krankheiten ( am meisten wohl immer noch die Schizophrenie und die Epilepsie) mit einem faustdicken TABU belegt sind in der heutigen Gesellschaft...
      Das zeigt sich schon allein daran, dass selbst bei spiegelonline ein Artikel wie
      Tabuthema Depression

      Zu müde fürs Leben

      spiegel.de/panorama/gesellschaft/0,1518,661041,00.html

      kaum mehr als einige Stunden im "Erscheinungsbild" verbleibt, weil dies ganz offensichtlich die "mainstreamleser" abschreckt, obwohl es gut 5 Millionen Depressive Menschen allein in D gibt....(also 6.25 % der Bevölkerung - wenn ergo also alle Depressiven wählen gingen, könnten sie eine eigene Partei in den Bundestag schicken - nur ist bei denen selbst wohl die Wahlmüdigkeit am Grössten...)
      Irgendwie scheint jedem Normalopathen beim Lesen solcher Artikel ein eiskalter Schauer über den Rücken zu laufen, der ihm sagt "Du könntest der nächste sein, der psychisch krank wird"....

      lg
      Eule4


      Wieso gerade Epilepsie?
      Das ist doch eine organische Erkrankung im Gehirn....wieso wird das mit geistig krank gleichgesetzt??
    • Wieso gerade Epilepsie?

      Wenn Du mal einen epileptischen Anfall gesehen hast, wie ich mehrmals ( einmal sogar mitten in einem Supermarkt) und die horrormässigen Reaktionen erlebt hast der Umstehenden, würdest Du diese Frage nicht stellen...
      Im Übrigen bekommen eine ganze Reihe von Medis, die nun ob "off label" oder nicht an Bipolare verschrieben werden wie z.B. das grandiose Lamotrigin, das Carbamezipin, das Oxcarbazepin, das Topamirat und - last not least - die Valproinsäüre ( z.B. als "Orfiril")
      zwischenzeitlich ohne nennenswerte Bedenken von Seiten der Psychiater auch und gerade manisch-depressive Patienten/Innen verabreicht...
      Dass Einzelne dieser Substanzen, wie etwa Topamax vollkommen verkehrsuntauglich machen und zumindest den PatientInnen gesagt werden müsste, dass sie dann keinesfalls mehr Auto fahren dürfen, wenn sie das Zeug nehmen, vergessen offensichtlich selbst ansonsten gut qualifizierte Psychiater leider oftmals... 8| ;( X(

      Obwohls auf dem Waschzettel steht: Mögliche Nebenwirkungen: Sehr häufig bei Topamax: Müdigkeit, Schwindel,
      Ataxie, Sprach-/Sprechstörungen, Parästhesie, Nystagmus, Benommenheit,
      Nervosität, psychomotorische Verlangsamung, Gedächtnisstörungen,
      Verwirrtheit, Appetitlosigkeit, Ängstlichkeit,
      Konzentrations-/Aufmerksamkeitsstörungen, Depressionen, Übelkeit,
      Gewichtsverlust, Kopfschmerzen, Doppelbilder und andere Sehstörungen.
      Häufig bei Topamax: Psychose, psychotische Symptome, aggressives
      Verhalten,


      "Na bestens" könnte man als zynischer Shrink auch sich denken - ein/e Patient/in der ich das gebe, kommt auf jeden Fall wieder, wenn sie keinen tödlichen Carcrash hatte vorher... :devil: :boese:

      ( ich habs selbst erlebt: Selbst mit 2 Promille Alk fahre ich "angepasster" als die Person, die ich unter Topamax fahrend mal als Beifahrer erlebt habe und wirklich heidenfroh war als ich wieder aussteigen konnte...gottseidank war es damals eine relativ kurze Strecke ohne Gegenverkehr !!!)

      lg
      Eule4
      "So sehr die Gegenwart sich um den Beweis ihrer Alternativlosigkeit auch bemüht, wird sie dennoch von der Zukunft abgelöst."


      Felix Kriwin

      Dieser Beitrag wurde bereits 2 mal editiert, zuletzt von Eule4 ()

    • Hi Eule

      Ich habe eine Freundin mit Epilepsie, die hatte einmal einen großen Anfall aber da war ich nicht dabei.
      Aber ich dachte mir wenn die Leute umfallen merkt man doch gleich das es was körperliches ist?

      Übrigens hab ich gelesen dass es bei Epilepsie eine hohe Dunkelziffer gibt weil es auch Betroffene gibt die nur kleine Anfälle haben die man selbst oft mal nicht so richtig beachtet...

      Würdest du sagen wenn ma öfters mal irgendwelche komische neurologischen Dinge wahrnimmt die nur kurz dauern dass es sich vl um sowas handeln könnte?
    • Nein, newbie...

      newbie schrieb:

      Würdest du sagen wenn ma öfters mal irgendwelche komische neurologischen Dinge wahrnimmt die nur kurz dauern dass es sich vl um sowas handeln könnte?
      was ich damit eigentlich sagen wollte ist, dass ich eine Bekannte habe, die heute selbst als Ergotherapeutin im Medizinalbetrieb tätig ist, deren Eltern aber irgendwer eingeredet hat, sie sei Epileptikerin - als Kind...

      erst Jahre später hat sich herausgestellt, dass das eine völlige Fehldiagnose war - ihr Elektroenzephalogramm
      wahr vollkommen in Ordnung - weder Anzeichen für "gran-" noch "petit mal" trotz Stroboskop...

      Für latente Epileptiker kann schon das Autofahren in einer baumbestandenen Allee einen Anfall auslösen
      oder rhytmische Diskolampen...

      Du scheinst mir ein bisschen zur Hypochondrie zu neigen ?

      lg
      Eule4
      "So sehr die Gegenwart sich um den Beweis ihrer Alternativlosigkeit auch bemüht, wird sie dennoch von der Zukunft abgelöst."


      Felix Kriwin