Ronald D. Laing und das anti-psychiatrische Experiment der 60er/70er Jahre

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    • Ronald D. Laing und das anti-psychiatrische Experiment der 60er/70er Jahre

      Hi,
      Ronald D. Laing gehörte neben Gregory Bateson zu den bekanntesten Ärzten, welche in den 60er Jahren mit ihren Forschungen zu Schizophrenie und Familie der Theorie und Praxis der damaligen Psychiatrie eine neue Grundlage verschaffen wollten. Für sie wurzelten Geisteskrankheiten wie Paranoia, Schizophrenie oder Depression nicht in biologischen Anomalien, sondern in unbewältigten gesellschaftlichen Konflikten. In Laings Worten:
      Insanity is a perfectly rational response to an insane world
      Der Erklärung seelischer Erkrankungen diente an prominenter Stelle die sog. Double-Bind-Hypothese, derzufolge ein Kind widersprüchlichen Signalen insbesondere der Mutter ausgesetzt ist, die es aufgrund seines Entwicklungsstandes nicht zu integrieren vermochte. Spürt das Kind sich einerseits geborgen in der mütterlichen Liebe, so macht es die Erfahrung, dass darauf kein Verlass ist, weil die Mutter gleichzeitig Signale der Ablehnung des Kindes aussendet. Diese Situation nannten Laing, Bateson und andere dieser Forschergemeinschaft angehörende Psychiater 'schizophrenogen', also eine Bewusstseinsspaltung induzierende Kommunikationsform.

      Diese Neuausrichtung der Psychiatrie fand in den 70er Jahren eine starke Resonanz, doch ging ihr Einfluss ebenso schnell wieder verloren, und es setzte sich das noch heute in der Schulpsychiatrie dominierende biologistische Paradigma durch. Zwar sind insofern Elemente der Reformpsychiatrie in die strikt naturwissenschaftliche Medizin integriert worden, als heute kein noch so hartgesottener Biologist die Bedeutung und Notwendigkeit der Psychotherapie in Abrede stellen wird; offen bleibt freilich die Frage, ob die Schulpsychiatrie, der nolens volens eine Prise Psychologie, ein Schuss Soziologie und einige Kilo Hirnforschung angestückt werden, zu einer Wissenschaft mit gesicherter theoretischer Erkenntnis und Erfahrung entwickelt werden kann oder ob dazu nicht eine grundlegende Umwälzung der fachlichen Grundlagen, ein Paradigmenwechsel im strikten Sinne des Begriffs vonnöten ist.

      Nahezu 50 Jahre nach dem 'Experiment' von Kingsley Hall, wo Laing über einen längeren Zeitraum hinweg mit seinen Patienten in einer Wohngemeinschaft lebte und arbeitete, erinnern sich einige der damals Beteiligten und vergegenwärtigen ihre Erfahrung. Das ist wenigstens psychiatriegeschichtlich interessant, weshalb ich hier darauf aufmerksam mache. Um Missverständnisse zu vermeiden, weise ich ausdrücklich darauf hin: Daraus folgt nicht, dass ich mich mit dieser Form anti-psychiatrischer Theorie und Praxis identifiziere. Eine Klarstellung, die aller Erfahrung nach vollkommen zwecklos sein dürfte.

      Der Artikel Kingsley Hall: RD Laing’s Experiment in Anti-psychiatry ist hier verfügbar:

      Laings anti-psychiatrisches Experiment

      Gruß
      Laci
      "Tief im Herzen haß ich den Troß der Despoten und Pfaffen, Aber noch mehr das Genie, macht es gemein sich damit." (Hölderlin)

      "Nun müssen diejenigen, welche ihre Gedanken untereinander austauschen wollen, etwas voneinander verstehen; denn wie könnte denn, wenn dies nicht stattfindet, ein gegenseitiger Gedankenaustausch möglich sein?" (Aristoteles)
    • Hallo Laci,

      ich weiß, es gab mal die These der schizogenen Mutter, die aber, jetzt nicht aus Gründen der biologistischen Sichtweise, gott sei dank wieder fallen gelassen wurde. Ich hatte es hier schon mal als Buchtipp angeführt, was ich zur Behandlungserfahrungen bzgl. Schizophrenie und Psychosen empfehlen kann.

      Dialoge im Netzwerk - Neue Beratungskonzepte für die psychosoziale Praxis

      In dem Buch wird auf ein anderes Buch hingewiesen, welches die Erfahrungen bei der Schizophreniebehandlung in Turku Finnland wieder gibt:

      Schizophrenie - Entstehung, Erscheinungsformen und die bedürfnisangepaßte Behandlung von Yrjö A. Alanen

      Ich selbst habe nur das 1. Buch gelesen und war fasziniert davon. Vor allem, dass Menschen mit einer Erstmanifestation auf die Art der "Bedürfnisagepassten Behandlungsform" so positiv drauf reagierten und auch nach 5 Jahren kein Rezidiv mehr eingetreten ist und sie wesentlich besser in den Berufs- oder Studienalltag zurückgeführt werden konnten, als die Psychose-Erfahrenen, die nach Leitlinienstandard behandelt wurden.

      Ob man nun diese Erfahrungen auf die bipolare Störung übertragen kann, weiß ich nicht. In dem von mir zuerst angegebenen Buch, wurde diese Verfahrensweise auch schon auf andere Störungsbilder mit Erfolg angewendet.

      Dorothea Buck ist der Meinung (aus ihrer eigenen Erfahrung, nach 5 Psychosen und der vollständigen Genesung), dass, wenn man begreift, was hinter den Psychoseerlebnissen steckt und die Dinge ins Alltägliche übersetzt, die Psychosen dadurch keinen Nährboden mehr finden. Ob dies nun überall und immer der Fall ist, kann ich nicht sagen, ich denke, wird wohl auch andere Beispiele geben, wo es nicht so ist.

      Viele Grüße Heike
      Recovery beinhaltet eine Wandlung des Selbst, bei der einerseits die eigenen Grenzen akzeptiert werden und andererseits eine ganze Welt voller neuer Möglichkeiten entdeckt wird. Dies ist das Paradoxe an Recovery: Beim Akzeptieren dessen, was wir nicht tun oder sein können, beginnen wir zu entdecken, wer wir sein können und was wir tun können (Patricia Deegan 1996).
    • Hallo Heike,
      wenn ich recht sehe, laufen die vielversprechendsten Ansätze zur einer Neuorientierung der Psychiatrie als einer Wissenschaft auf eine Integration von psycho-sozialen und biologisch-naturwissenschaftlichen Hypothesen hinaus. Nun bedeutet 'Integration' im wissenschaftstheoretischen Zusammenhang etwas Anderes als ein - mit Kant gesprochen - bloß distributive Einheit wie etwa ein Sack voller Kartoffeln einen Kartoffelsack bildet. Das erfordert sehr viel mehr wissenschaftslogische Anstrengungen als das bloße Zusammentragen disparater Wissensbestände. Eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Voraussetzung der Gültigkeit theoretischen Wissens ist das Postulat der Widerspruchsfreiheit und logischen Konsistenz, Allein schon dieser Forderung zu genügen, ist ein gewaltiges Stück Arbeit.

      Wenn ich es recht verstehe, war bzw. ist die double-bind-Hypothese der These von der schizophrenogenen Mutter logisch vorgeordnet und eine Anwendung auf die Mutter-Kind-Dyade. Dann aber kann die These, die dich so stört (ich nehme an, weil du die Frau im Kollektivsingular dadurch unter Pathologieverdacht gestellt siehst?) aufgegeben werden, ohne dass dadurch die allgemeinere Hypothese beschädigt wird. Intuitiv leuchtet mir die These von der pathogenen Struktur widersprüchlicher Signale, welche das Kind aufgrund seines Reifegrades nicht decodieren kann, nach wie vor ein. Deren Geltung beschränkt sich wie gesagt nicht auf die Mutter-Kind-Beziehung, obgleich deren herausragende Bedeutung von verschiedensten Strömungen der Tiefen- und Entwicklungspsychologie hervorgehoben wird. Das scheint mir auch hinsichtlich der Genese der manisch-depressiven Erkrankungen von Bedeutung zu sein; denn es bleibt doch bis auf den heutigen Tage unklar, wie es zum 'Entgleisen' des Stoffwechselprozesses des Gehirns kommt. Möglicherweise sind es ja tatsächlich unbewältigte frühkindliche Konflikte, die eine 'pathologische' Bahnung hirnanatomisch und/oder -physilogische einleiten, welche sich im individuellen Reifeprozess zu einer krankhaften Disposition ausgestaltet.

      Co-Autor der Einleitung des ersten von dir zitierten Buches ist Volkmar Aderhold, der in einer ganzen Reihe von Studien die katastrophalen Auswirkungen des hemmungslosen Umganges mit den (atypischen) Neuroleptika aufgewiesen hat. Nachweislich wurden bzw. werden dessen Forschungsergebnisse von interessierter Seite unterdrückt, u.a. mit dem aberwitzigen 'Argument', seine kritische Einstellung führe zur Verunsicherung der Patienten. Dieser Humbug sagt eine Menge aus über die Schulpsychiatrie und ihre erste Forderung an den Patienten, gefälligst 'compliant' zu sein. Dass 'compliance' u.a. mit 'Willfährigkeit' zu übersetzen ist, könnte einem zu denken geben, nicht wahr?

      Gruß
      Laci
      "Tief im Herzen haß ich den Troß der Despoten und Pfaffen, Aber noch mehr das Genie, macht es gemein sich damit." (Hölderlin)

      "Nun müssen diejenigen, welche ihre Gedanken untereinander austauschen wollen, etwas voneinander verstehen; denn wie könnte denn, wenn dies nicht stattfindet, ein gegenseitiger Gedankenaustausch möglich sein?" (Aristoteles)
    • Hallo Laci,

      ja, es ist tatsächlich so, dass ich die Mutter da in der "Schuldposition" sehe. Meist ziehen sich aber schon Generationen vorher ein roter Faden von physischen, wie auch psychischen Beeinträchtigungen durch das Leben. Da ich eine Anhängerin des kybernetischen Denkens bin, bin ich sowieso der Auffassung, dass es nie nur eine "Ursache" für etwas gibt, sondern das System an sich, sowohl die Systemteile, wie auch das Systemgefüge und daraus resultierende Verhalten eine Rolle spielen. Ich war fasziniert darüber, dass genau dies, in der Lektüre dieses Buches wiederzufinden war.

      Genau diese "evidence-basierten" Studienergebnisse, die heutzutage nur zur Geltung kommen und Beachtung finden, wird in den beiden Büchern auch kritisiert. Gerade weil es ein Netzwerk ist mit vielen teils bekannten, teils unbekannten Variablen im System (Familiensystem, Behördensystem, Bildungssystem, Arbeitssystem, Gesundheitssystem...), ist erstens jede einzelne Krisenerfahrung und die Bewältigung daraus völlig unterschiedlich. Vor allem auch sehr unterschiedlich, wie vorgegangen wird, wer zum Netzwerk dazu gehört, wie interveniert wird, etc. pp. So etwas läßt sich schwer in einer evidencbasierten Studienkonstruktion hineinpressen.

      Dennoch haben die Studien, die über 2 und 5 Jahren an Patientengruppen durchgeführt wurden gezeigt, dass sie bei der Bedürfnisangepassten system-therapeutischen Behandlungsform eine bessere Prognose aufwiesen und ein sehr hoher Prozentsatz, wie in die Arbeitswelt integriert werden konnte und damit selbstredent sehr wenige Personen dann tatsächlich in die Erwerbsunfähigkeitsrente gingen. Die Vergleichsgruppe nach Leitlinienstandard, hatte ein genau umgekehrtes Verhältnis.

      Frederic Vester würde sagen, ihr könnt das Gehirn in atomgröße auseinander nehmen, es vermessen, Millionen von Daten in den Computer speisen, aber das System, das nicht nur die Frage hat, wie etwas miteinander verknüpft ist, sondern auch wie stark die Verknüpfung ist, wie stark oder schwach verschiedene Systemteile reagieren, welche haben puffernden Charakter, welche eher Aufschaukelnden Charakter oder welche eher Regelnden Charakter. Das Gehirn ist ja ein Organ in einem menschlichen System und dieses Gehirn interagiert mit anderen Gehirnen, steht also immer mit anderen Systemkomponenten in Verbindung. Deshalb wird es wohl, nach meiner Meinung so eine "Widerspruchsfreiheit" nicht geben.

      Es ist sowieso fraglich, ob überhaupt die Ganze allgemeine Forschung, in welcher Richtung auch immer, heute richtig ist, weil man immer nur Teilbereiche analysiert. Aber das zu forschende Objekt lebt nicht nur in einem kleinen Systemfeld, sondern ist mit anderen übergeordneten und untergeordneten Systemkreisläufen verbunden. Unsere Schul- und Studienbildung ist in Fächer aufgeteilt, aber die Natur, die Biosphäre in der wir leben, da laufen physikalische, biologische, chemische, geologische, soziale, wirtschaftliche, energetische Prozesse ineinandergreifend ab. Nichts ist nur isoliert, außer in einem Laborversuch, wo man alle anderen Faktoren ausschließt.

      Ich sehe es selbst im IT-Bereich, in einer Bildungseinrichtungen herrschen Laborbedingungen bzgl. PC und Software, im alltäglichen Leben, zu hause oder in Firmen, haben wir mit ganz komplexen Systemen zu tun, damit ist beileibe nicht nur das technische und softwaretechnische Netzwerksystem gemeint, sondern ebenso, manchmal sogar noch viel stärker hineinspielend, das Soziale und Psychische. Zum Beispiel, Ängste Fehler zu machen oder aber gar die andere Seite der Überschätzung (nichts ist so "gefährlich" wie Halbwissen), falsche Istanalyse durch z.B. nur der Befragung des Management, nicht aber der Leute, die damit letztlich arbeiten. Falsche Zielvorstellungen oder aber die nicht richtig durchgeführte Heranführung an das neue System. Hinzu kommt noch die Portierbarkeit auf Fremdsysteme der Kunden oder der Zulieferer oder die Anbindung an das Filialennetz mit Inhomogenen Netzwerksystemen. Wie du siehst, wenn da etwas nicht funktioniert, hat man als Systementwicklerin und Systembetreuerin einiges zu tun, um den oder eher die Fehler zu finden. Manchmal ist etwas in Bereichen, wo man es nie vermutet hätte und wieder manchmal stellt sich heraus, dass dieses Problem schon seit Jahren bestanden hat, aber erst jetzt auffällt, weil es sich unbemerkt hochgeschaukelt hat.

      Damit möchte ich ebenfalls die Studiendesigns infrage stellen, ob sie wirklich das erfassen, was tatsächlich ist. Nun könnte man einwenden, bei soviel Verknüpfungen ist es eine Sysiphos-Aufgabe, da soviele Daten zusammeln, um die Zusammenhänge zu erkennen. Das ist eben der Irrtum, es braucht Schlüsselvariablen, die das System und vorallem das Systemverhalten in der Unschärfe erkennen lassen. Das menschliche Sehzentrum ist in der Lage aus wenigen bildpunkten, ein gesamtes inneres Bild entstehen zu lassen. Sieh dir dazu mal dieses unscharfe Bild einmal ganz nah und dann ganz in der Ferne an und erate, was es darstellt ;-).

      Ich hatte das Glück durch meine EX-IN-Ausbildung den Volkmar Aderhold selbst kennen zu lernen. Er wird ungehalten, wenn man ihn mit der Antipsychiatrie in Verbindung bringt oder ihn als Medikamentengegner darstellt. Dies ist er nicht. Er ist auch kein Gegner der Neuroleptika im allgemeinen, aber sehr wohl steht er dem sehr kritisch gegenüber, vor allem durch die heutige Vergabepraxis mit hohen Dosierungen und die Langzeittherapie damit. Aber auch, dass teils zu schnell darauf zurückgegriffen wird.

      In Skandinavien, wo die bedürfnisangepasste Behandlungsform schon seit mehr als 2 Jahrzehnte durchgeführt wird, wird entweder sehr NL-arm oder sogar NL-Frei behandelt, dass heißt nicht, dass sie Medikamentenfrei behandeln. Diese Behandlungsform bedeutet aber auch ein völlig anderes herangehen. Das berufsprofessionelle Behandlungsteam, was vom ersten bis zum letzten Tag, sowohl stationär, wie auch ambuland gleich bleibt ordnet sich gleichberechtigt in das soziale private Netzwerksystem ein. Sie wissen dass sie nicht die Allwissenden sind in dem Setting sondern das Wissen aus dem ganzen System entspringt.

      Ist kompliziert, ich kann es gerade nicht so in Worte fassen.

      Viele Grüße Heike
      Recovery beinhaltet eine Wandlung des Selbst, bei der einerseits die eigenen Grenzen akzeptiert werden und andererseits eine ganze Welt voller neuer Möglichkeiten entdeckt wird. Dies ist das Paradoxe an Recovery: Beim Akzeptieren dessen, was wir nicht tun oder sein können, beginnen wir zu entdecken, wer wir sein können und was wir tun können (Patricia Deegan 1996).
    • Hallo Heike,
      die bedürfnisangepasste Behandlung seelischer Erkrankungen ist im Vergleich zu herkömmlicher Therapie erheblich aufwendiger, d.h. kostenintensiver, sodass dahinter auch der (gesundheitspolitische) Wille vorhanden sein muss, diese Mehraufwendungen zu finanzieren, auch wenn sie sich kurzfristig nicht auszahlen. In Deutschland haben wir ja eine gegenläufige Tendenz. Vor einigen Monaten - du wirst dich daran erinnern - berichtete Spiegel Online, dass die Krankenkassen dahin wirken, psychisch Kranke nach ihren Prognosen zu sortieren, und zwar in solche, bei denen ein therapeutischer Erfolg möglich erscheint, und solche, bei denen Hopfen und Malz verloren ist und die dank der modernen Psychopharmaka ruhig zu stellen sind.

      Diese Selektion hat Tradition in Deutschland: sowohl an der Zwangssterilisierung als auch an der 'Vernichtung lebensunwerten Lebens', in grotesker Verzerrung als Euthanasie verschleiert, waren in vorderster Front progressive Psychiater wie der in Heidelberg wirkende Carl Schneider, der 'Erfinder' der Ergotherapie, beteiligt. Der Grundgedanke war der gleiche: es müsse Raum geschaffen werden für die therapierbaren Fälle, weshalb die hoffnungslos Erkrankten leider, leider in einem chirurgischen Akt aus dem Volkskörper zu entfernen seien. Nun leben wir gottlob unter anderen politisch-rechtlichen Rahmenbedingungen und die durch den Faschismus seinerzeit forcierte Erosion der moralischen Grundlagen der abendländischen Kultur sind entgegen den kulturkonservativen Unkenrufen nach wie vor in Kraft. Der sozialtechnologische Impetus aber, mit den Mitteln der (biologistischen) Medizin die soziale Frage zu lösen, wird stärker. Schon heute wird wieder ein Kosten-Nutzen-Rechnung für ganze soziale Schichten erstellt und die Frage gestellt, was mit dem unproduktiven 'Prekariat' zu geschehen habe.

      Die fortschreitende Differenzierung und Spezialisierung folgt aus der Logik der Entwicklung der Wissenschaften und ihrer Fachdisziplinen. Selbst auf dem Gebiete der Wissenschaft, die einst als Universalwissenschaft schlechthin galt, selbst auf dem Gebiete der Philosophie ist es heute für den einzelnen Forscher vollkommen unmöglich auch nur auf einem Spezialgebiet, sagen wir der Logik, den Überblick über die Entwicklung zu behalten. Das heißt, dass die Forschung immer kleinteiliger, isolierter wird, weshalb sich nachdrücklich die Relevanz wissenschaftlicher Forschung stellt. Das gilt mutatis mutandis selbstverständlich auch für die Medizin, die Psychiatrie, ja selbst für die Erforschung der bipolaren Depression. Ganz davon abgesehen, dass nur mehr ein außerordentlich bornierter Depp nach dem Homosexuellen- oder Bipoalar-Gen suchen dürfte, es zeigt sich doch auch in dem, was hier regelmäßig über vermeintlich neuere Erkenntnisse auf dem Gebiet der Erforschung bipolarer Störungen bekannt gegeben wird. Hinzu kommt ja, dass es in der Wissenschaft keineswegs ausschließlich um die hehre, selbstlose Suche nach der Wahrheit geht, sondern um Einfluss, Macht, Verfügung über knappe Ressourcehn und um Karriereambitionen. Da wird noch die absurdeste Korrelation, etwa über Sonnerneinstrahlung und seelische Gesundheit, zum Knüller. Moritz verteidigt diese Detailforschung regelmäßig mit dem Argument, es handle sich eben um einen Baustein, einen Aspekt des Ganzen. Rein logisch betrachtet ist das ein Purzelbaum: um etwas als einen Aspekt von einem Ganzen zu beschreiben, ist die Kenntnis des Ganzen vorausgesetzt. Genau das aber steht in Frage und anstelle gesicherter Erkenntnis wird hier von Vor-Urteilen der Schulpsychiatrie Gebrauch gemacht.

      Gruß
      Laci
      "Tief im Herzen haß ich den Troß der Despoten und Pfaffen, Aber noch mehr das Genie, macht es gemein sich damit." (Hölderlin)

      "Nun müssen diejenigen, welche ihre Gedanken untereinander austauschen wollen, etwas voneinander verstehen; denn wie könnte denn, wenn dies nicht stattfindet, ein gegenseitiger Gedankenaustausch möglich sein?" (Aristoteles)
    • Hallo Laci,

      genau diese Sicht auf die anfänglich kosten- und zeitintensiven Bemühungen in jedem Bereich ist das Problem, welches die Nachhaltigkeit stoppt. Wir arbeiten nur im Reparaturdienstverhalten, das mag in manchen Bereichen auch ok sein, aber in vielen anderen Bereichen führt es regelmäßig zum Scheitern der Bemühungen und einer Kostenexplosion.

      Auch hier ist dies so. In der Zugrundeliegenden Erkenntnis in Skandinavien, scheint zunächst der Aufwand größer oder intensiver, obwohl hier schon auf die Ressourcen der Familie bzw. des sozialen Netzwerkes zurückgegriffen wird. Das Behandlerteam, dort meist nur aus 3 Personen bestehend, kann sich immer mehr daraus zurückziehen. Braucht es zu Anfang viele "runde Tische", wird es im Laufe der Zeit immer weniger, da das soziale Netzwerk greift.

      Die Wirkung dieser Vorgehensweise ist ja, eine Nachhaltige Genesung und die Rückführung ins Arbeits- oder Studienleben. Das bedeutet, der Betroffene zahlt durch seine nachhaltige Genesung selbst in das Sozialsystem ein und braucht selbst nicht mehr vom Sozialsystem getragen werden. Ebenfalls sind die Kosten für die Medikamente sehr gering, da nur mehr am Anfang dort mit Medikamenten eingegriffen wird. Ich möchte hier aber nochmals darauf hinweisen, dass die dortigen Studien sich auf Schizophrenie und Psychose bezogen hatte und es sich dabei meist um Erstmanifestationen handelte.

      Während nach Leitlinienstandard, über intensive und dauerhafte NL-Behand, die Betroffenen hinterher seltener in den Arbeitsprozess entlassen werden konnten und zudem die "Therapietreue" oftmals unterbrochen wurde, durch z.B. eigenes Absetzen der Medikamente und dadurch der Krisengeschüttelte wieder einer intensiven und teuren Krankenhausbehandlung zugeführt werden muß, ist diese Art des Reparaturdienstes nach Symptombekämpfung nicht wirklich günstiger, sondern wird eher mehr wesentlich teuerer werden. Die oben erwähnte bedürfnisangepasste Behandlung erfolgt recht oft über Hometreadment, also der Krisenerfahrene bleibt in seinem gewohnten Umfeld oder wird recht schnell diesem wieder zugeführt, weil dort die Ressourcen stecken, die für die Nachhaltigkeit gebraucht werden.

      Also zieht das Argument der Kosten nicht wirklich, eher das Gegenteil ist der Fall.

      Im Moment muß die Bundesrepublik sich nach den UN-Konventionen (Rechte für Menschen mit physischen, wie auch psychischen Behinderungen) umgestalten, dass heißt, sie muß für eine Teilhabe am gesellschaftlichen- wie auch beruflichen Leben sorgen und hieraus folgt die Inclusion. Also nicht Integration sondern Inclusion, welches die Gleichwertigkeit eines Individuums beschreibt, ohne dass "Normalität" vorausgesetzt wird. Das bedeutet also eben nicht Selektion. Aber wir Krisenerfahrene sind es auch, die darauf pochen können, dass eben diese Konventionen umgesetzt und eingehalten werden. Ohne jetzt für EX-IN Werbung machen zu wollen, aber der Effekt nach der einjährigen Ausbildung ist auch der, dass wir den Gedanken des Empowerments weiter verfolgen und so in der Lage sind auch politisch den Mund auf zu machen.

      Ich gebe dir Recht, dass die Forschung immer Kleinteiliger wird, aber diese Kleinteiligkeit verhindert in vielen Fällen das Sehen des Systems. Immer mehr Menschen erkennen, dass das Bildungssystem völlig veraltet ist und eben das Aufgliedern in "Fächern" zwar Fachkompetenzen fördert, aber eben nicht darüber hinaus. Und so ist es klar, dass die Politik als solches sich in Ressort aufteilt und somit auch die "Geldtöpfe" und jeder sich immer wieder wundert, warum das Geld, was man in einem Ressort investiert hat, wieder verpufft und in ein Nichts aufgeht und dabei Löcher in drei, vier anderen Ressort entstehen (verursacht durch die Einseitigkeit). Die Hochrechnungen gehen heute immer noch von Ursache und Wirkung aus und vernachlässigen die vielfältige Vernetzung.

      So sehe ich auch, dass die Forschung sich eher über die Interdisziplinäre Zusammenarbeit weiter entwickeln könnte, als das Sammeln von Milliarden von Einzeldaten in Laborumgebungen. Diesem Gedanken,z.B. in der Philosophie bedient sich auch der Philosoph und Publizist Richard Darvid Precht in seinen Büchern.

      Nur kurz zur Sonneneinstrahlung und seelische Gesundheit, es ist schon seit langem bekannt, dass Sonne, bzw. Tageslicht einen enormen Einfluß auf die Genesung z.B. der Depression hat und darüber auch Tageslichtlampen entwickelt wurden.

      Wenn die Detailforschung nicht da aufhört, sondern wieder zusammenläuft in die Interdisziplinäre Forschung und dort im Zusammenhang wieder überprüft werden kann, können beide sich sicherlich ergänzen. Ich selbst bin kein Fan von etwas gleich zu verteufeln oder etwas gleich als DIE einzige Wahrheit hinzustellen. Es gibt immer mehrere Seiten und es kann durchaus auch eine Berechtigung für Detailforschung geben. Ich sage immer, nicht schwarz und nicht weiß, sind das Thema, sondern die verschiedensten Farben oder auch Grautöne, haben ihre Berechtigung, sieh auch das Bild von Licoln, wo jedes Quadrat mit seiner individuellen Graufärbung im einzelnen seine Berechtigung, bzw. sogar Verpflichtung hat, weil sonst das gesamte Bild nicht erkennbar wird.

      Viele Grüße Heike

      PS: Übrigens sehe ich Moritz Bemühen, sowohl in der Bereitstellung des Phorums an sich, wie auch das Hineingeben von Forschungsansätze für die Anregung einer Diskussion von Vorteil an und ich sehe seine Beiträge in diesen Diskussion, eher als die Vertretung der allgemeinen Forschungsmeinung und ich weiß nicht, was er persönlich als Privatmensch darüber denkt. Mir würde nicht einfallen ihn als "Depp" zu bezeichnen. Er ist doch jemand, der sich als Professioneller der Diskussion stellt und wo findet man dies schon?
      Recovery beinhaltet eine Wandlung des Selbst, bei der einerseits die eigenen Grenzen akzeptiert werden und andererseits eine ganze Welt voller neuer Möglichkeiten entdeckt wird. Dies ist das Paradoxe an Recovery: Beim Akzeptieren dessen, was wir nicht tun oder sein können, beginnen wir zu entdecken, wer wir sein können und was wir tun können (Patricia Deegan 1996).

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Heike ()

    • Eine klarstellung

      Hallo Heike,
      auf die Schnelle eine kurze Antwort, um widersinnige Konfrontationen zu vermeiden. Der vorletzte Satz deines letzten Beitrages lautet
      Mir würde nicht einfallen ihn [Moritz] als "Depp" zu bezeichnen
      Das habe ich nicht getan, und was du mir hier unterstellst, ist eine komplette Verzerrung. Ich würde dich schon bitten, hier etwas sorgfältiger zu lesen. Denn die Sequenz, auf die du glaubst dich beziehen zu können, lautet folgendermaßen:
      Ganz davon abgesehen, dass nur mehr ein außerordentlich bornierter Depp nach dem Homosexuellen- oder Bipoalar-Gen suchen dürfte...
      und damit ist nun gerade nicht Moritz gemeint, denn er hat immer wieder auf die Komplexität der manisch-depressiven Erkrankung hingewiesen. Dass die Prädizierung nur mehr ein außerordentlich bornierter Depp nicht auf ihn bezogen ist, müsste jedem unbefangenen Leser klar sein. Ich habe mich in der Vergangenheit immer wieder gegen eine Kritik an der Psychiatrie gewandt, die den Ärzten und dem Pflegepersonal unlautere Motive oder gar einen deformierten Charakter unterstellt-, ohne jeden Erfolg, wie auch hier wieder nicht ohne eine gewisse Erbitterung festzustellen ist.

      Die Sache ist in Wahrheit viel komplizierter. Nach den leidvollen historischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts wissen wir doch zur Genüge, dass der Weg zur Hölle mit guten Vorsatzen gepflastert ist. Mein Argument gegen Moritz Art und Weise, neuere Forschungsergebnisse zu bewerten und aufzunehmen, ist erkennbar wissenschaftslogischer Natur und im Grunde ziemlich simpel: Um etwas als einen Aspekt der Wahrheit beschreiben zu können, muss ich die Wahrheit schon kennen. Auf die Forschung bezogen: Wenn ich die Hypothese x als einen wichtigen Aspekt der bipolaren Störung beschreibe, muss ich zumindest einen Vorbegriff dieser Erkrankung haben, andernfalls wird die Zuordnung willkürlich. Du reproduzierst genau diesen Fehler mit deiner unbestimmten Rede von verschiedensten Farben und Grautönen.

      Darüber ließe sich weiter mit Gewinn streiten. Was aber nicht geht, ist die Debatte auf das völlig falsche Gleis persönlicher Anwürfe zu schieben und nachher mangelnde Sachlichkeit zu beklagen. Darüber solltest du noch einmal sine ira et studio nachdenken.
      Gruß
      Laci
      "Tief im Herzen haß ich den Troß der Despoten und Pfaffen, Aber noch mehr das Genie, macht es gemein sich damit." (Hölderlin)

      "Nun müssen diejenigen, welche ihre Gedanken untereinander austauschen wollen, etwas voneinander verstehen; denn wie könnte denn, wenn dies nicht stattfindet, ein gegenseitiger Gedankenaustausch möglich sein?" (Aristoteles)
    • Ich glaube nicht, dass Heike das so gemeint hat, Laci. Was sie, wie ich finde zu Recht, beklagt ist, dass die Wissenschaft immer nach monokausalen Gründen sucht, ohne die in einander greifenden Systeme insgesamt zu überblicken. Das ist in der Medizin sehr häufig der Fall, da sie sich immer kleinmaßstabiger spezialisiert. Ein Beispiel: Ich habe mal einen Freund in eine Augenklinik gebracht, weil der kaum noch sehen konnte. Die haben ihn als gesund entlassen, seine Augen seien tadellos, sehen konnte er immer noch nicht besser. Auf die Idee, dass da ein neurologisches Geschehen (so war es - MS) hintersteckt, ist niemand gekommen.

      Einige werden aufgrund meiner Beiträge denken, ich sei anti Psychiatrie. Das stimmt so nicht, ich bin lediglich gegen einige Auswüchse, die sich mit meiner Vorstellung über Ethik nunmal nicht in Deckung bringen lassen. Dazu gehört insbesondere das Vollstopfen mit Medikamenten, von denen lediglich die (teils fürchterlichen) Nebenwirkungen bekannt sind, aber nicht einmal, ob sie überhaupt eine Hauptwirkung haben. Ein Krisenintervention kann durchaus auch mal zeitlich befristet mit hochpotenten Medikamenten sinnvoll sein.

      Danach aber finde ich den von Heike aufgezeigten skandinavischen Weg sinniger.

      Man weiß einfach fast nichts über die bipolare Störung, behandelt wird gleichwohl. Warum sagt nicht einfach mal ein Arzt in besonnener Selbsteinschätzung: "Ich habe keine Ahnung". Das was dann dennoch geschieht, bezeichne ich als blinden Aktivismus, bzw. medizinischen Humbug.
    • Hallo Laci,

      ich bin nur ein Mensch und wenn man auch von mir alle biologisch, chemisch, physikalischen Eigenschaften kennt, meine Größe, mein Alter, meine Eß- und Bewegungesgewohnheiten, bis ins aller kleinste Detail und diese Milliarden Daten (Es werden Milliarden sein, bei solch einem Komplexen System) wird man nicht mit der absolut genauesten Vorhersage sagen können, wie ich einen Absatz lese, wie ich ihn empfinde und wie ich ihn interpretiere und wie ich das für mich interpretierte niederschreibe. Man könnte höchstens eine Art vage Tendenz feststellen, wie ich allgemein Ticke, aber zu dieser Tendenz benötigt man keine Milliarden Daten, sondern ganz wenige Schlüssel-Variablen, die das System an sich verkörpern, um zu sagen, ja Heike könnte diese Zeilen so und so interpretieren. Zu dem Ergebnis würde mit starker Zeitverzögerung auch jemand kommen, der die Milliarden von Daten auswertet, die man über mich gesammelt hat, aber auch nur dann, wenn dieser jemand weiß, wie diese Daten aufeinander wirken. Und doch können wiedrum einige andere Umstände dafür sorgen, dass ich etwas entgegen der festgestellten Tendenz ganz anders interpretiere, dafür braucht es manchmal nur eine winzig kleine Änderung, die vielleicht nicht mal in meinem Inneren zu finden ist, sondern vielleicht in Äußeren Reizen.

      Aus deinem Absatz:


      Ganz davon abgesehen, dass nur mehr ein außerordentlich bornierter Depp nach dem Homosexuellen- oder Bipoalar-Gen suchen dürfte, es zeigt sich doch auch in dem, was hier regelmäßig über vermeintlich neuere Erkenntnisse auf dem Gebiet der Erforschung bipolarer Störungen bekannt gegeben wird. Hinzu kommt ja, dass es in der Wissenschaft keineswegs ausschließlich um die hehre, selbstlose Suche nach der Wahrheit geht, sondern um Einfluss, Macht, Verfügung über knappe Ressourcehn und um Karriereambitionen. Da wird noch die absurdeste Korrelation, etwa über Sonnerneinstrahlung und seelische Gesundheit, zum Knüller. Moritz verteidigt diese Detailforschung regelmäßig mit dem Argument, es handle sich eben um einen Baustein, einen Aspekt des Ganzen.


      Da auch von Moritz einige Forschungsergebnisse über die Genforschung hineingestellt wurden und auch andere Erkenntnisse aus den Erforschungen und eben in diesem Absatz Moritz erwähnt wird, dass er diese Agrumente regelmäßig verteidigt, habe ICH selbst eben diesen Zusammenhang zu diesem bornierten Depp hergestellt. Wenn dies von dir nicht so gemeint war, ist das sehr schön und ich entschuldige mich hiermit. Aber vielleicht kannst auch du erkennen, dass man durchaus schon diese Verknüpfung herstellen kann, durch den Absatz.

      Ich finde es aber schade, dass du nur mehr auf mein PS eingegangen bist, nicht aber auf meine übrige doch sehr lange Ausführung.

      Viele Grüße Heike
      Recovery beinhaltet eine Wandlung des Selbst, bei der einerseits die eigenen Grenzen akzeptiert werden und andererseits eine ganze Welt voller neuer Möglichkeiten entdeckt wird. Dies ist das Paradoxe an Recovery: Beim Akzeptieren dessen, was wir nicht tun oder sein können, beginnen wir zu entdecken, wer wir sein können und was wir tun können (Patricia Deegan 1996).
    • Hallo Heike,
      ja gewiss, man mag noch so viele Detailinformationen über das Individuum Heike haben und wird dennoch nicht exakt voraussagen können, wie sie diesen oder jenen Text auslegt. Darum geht es aber gar nicht. Es geht auch nicht darum, ob ich eine Verknüpfung, in diesem Falle bornierte Psychiater und solche von Moritzens Typ, für möglich halte, denn du hast ja vorgeführt, wie es dazu kommen kann. Man muss eben unterscheiden zwischen dem psychologischen Vorgang einer Textauslese und dem logischen Prozedere, welches klassischerweise als Hermeneutik (Kunst der Auslegung) bezeichnet wurde. Psychologisch ist alles Mögliche denkbar; daraus folgt aber nicht die Willkürlichkeit der Auslegung von Texten. Dagegen wehre ich mich und zwar vehement und aus guten Gründen. Denn wenn nicht mehr zwischen einer angemessenen Interpretation eines Textes und einer weniger guten oder gar fehlerhaften unterschieden werden kann, nun, dann haben wir die Nacht, in der alle Katzen grau werden. Die Auflösung jeder Objektivität in die Subjektivität des Meinens gehört zu den Grundpfeilern des Zeitgeistes, der sich postmodernistisch, poststrukturalistisch oder wahlweise posthistoire versteht. Dann gibt es eben so viele Wahrheiten wie Meinungen; und da die eine so viel gilt wie die andere, da keine verlässlichen Kriterien wahre von falschen Schlüssen zu unterscheiden erlauben, entscheidet am Ende die Macht über Wahrheitsfragen.

      Nochmals auf die missverstandene Textstelle bezogen: immanent betrachtet wird dort eine Unterscheidung vorgenommen von solchen Psychiatern, welche derart auf das biologistische Paradigma ihrer Disziplin eingeschworen sind, dass sie immer noch davon träumen, das Bipolar-Gen, das Alkohol-Gen, das Homosexualitäts-'Gen zu identifizieren. Dabei gerät vollkommen aus dem Blick, dass die Forschung sich weiter entwickelt hat, Psychotherapie inzwischen zum anerkannten therapeutischen Kanon der Behandlung manisch-depressiver Erkrankungen gehört; und auf dem Gebiete der Genetik tut sich unter dem Titel Epigenetik gerade Umwälzendes. Moritz hat auf diese neue Forschungsrichtung in diesem Forum wiederholt hingewiesen. Nun also bitte: Willst du ernsthaft noch behaupten, dass es logisch möglich sei, dass ich Moritz jenen Fachidioten zugerechnet habe? Ich erlaube mir nochmals den guten Rat: ihr solltet etwas genauer lesen, was uns viele unnötige, mitunter erbitterte Kontroversen ersparen würde. Du wirst keinen einzigen Forumsbeitrag von mir finden, in dem ich Moritz oder den Psychiatern schlechthin die moralische und intellektuelle Integrität abgesprochen habe. Mehrfach habe ich versucht zu zeigen, dass auf diesem Wege keine Kritik an der herrschenden Psychiatrie herauskommt, die den Namen verdient. Zwecklos, völlig zwecklos, vergebliche Mühe-, und jetzt, in dieser Minute habe ich keine Lust mehr, die anderen 'Missverständnisse' auszuräumen, um die Sache wieder in den Blick zu bekommen. Aber die Streitlust, die Lust am Denken wird aller Erfahrung nach irgendwann sich wieder einstellen, und dann sage ich noch etwas dazu-, oder auch nicht.....

      Gruß
      Laci
      "Tief im Herzen haß ich den Troß der Despoten und Pfaffen, Aber noch mehr das Genie, macht es gemein sich damit." (Hölderlin)

      "Nun müssen diejenigen, welche ihre Gedanken untereinander austauschen wollen, etwas voneinander verstehen; denn wie könnte denn, wenn dies nicht stattfindet, ein gegenseitiger Gedankenaustausch möglich sein?" (Aristoteles)
    • Hallo Laci,

      es lag mir absolut fern, hier einen "Streit" vom Zaun zu brechen, ich bin eher überrascht, dass meine Bemerkung bei dir eine solch starke Resonanz erzeugt hat, dies war und ist nicht meine Absicht. Deshalb lasse ich mal das Geschriebene über die Interpretierbarkeit so stehen.

      Leider ist darüber die Diskussion über das eigentliche Thema in den Hintergrund geraten, ich hätte mich gefreut, wenn Du oder auch andere im Forum auf meine Ausführung in diesem Text bipolar.at/wbbdrei/index.php?p…ad&postID=49132#post49132 eingegangen wärest, bzw. ich war, und bin es immer noch, gespannt auf die Meinungen Anderer darüber.

      Viele Grüße Heike
      Recovery beinhaltet eine Wandlung des Selbst, bei der einerseits die eigenen Grenzen akzeptiert werden und andererseits eine ganze Welt voller neuer Möglichkeiten entdeckt wird. Dies ist das Paradoxe an Recovery: Beim Akzeptieren dessen, was wir nicht tun oder sein können, beginnen wir zu entdecken, wer wir sein können und was wir tun können (Patricia Deegan 1996).
    • Hallo Heike,
      gerade ist mir genau das passiert, was dir mit deinem Beitrag zum Blues-Thema widerfahren ist. Als ich den Text abschicken wollte, kam die Meldung: Sie sind nicht zugangsberechtigt, und als ich mich wieder angemeldet hatte, war der Text futsch-, und hatte doch nie einen besseren geschrieben. Jetzt habe ich die Schnauze voll und nicht die geringste Lust, ihn nochmals niederzuschreiben. Aber ich habe die Argumentation im Kopf und teile sie demnächst mit.
      Gruß
      Laci
      "Tief im Herzen haß ich den Troß der Despoten und Pfaffen, Aber noch mehr das Genie, macht es gemein sich damit." (Hölderlin)

      "Nun müssen diejenigen, welche ihre Gedanken untereinander austauschen wollen, etwas voneinander verstehen; denn wie könnte denn, wenn dies nicht stattfindet, ein gegenseitiger Gedankenaustausch möglich sein?" (Aristoteles)
    • Gerade Mythen wie die "schizophrenogene Mutter" sind x-fach (im übrigen gerade von der "bösen,bösen biologischen Psychiatrie) völlig widerlegt.

      (Im übrigen kann schon aus rein formellen Gründen ausschließlich ein "biologischer" Ansatz einen derartigen Müll als das entlarven, was er ist:

      Das frei flottierende Fantasieren von meist sehr patriarchisch-konservativ geprägten (zumeist) Männern, die nichts mehr tun, als eben ihre MEINUNG zu äußern, völlig unbelastet von irgendwelchen nachprüfbaren, wiederholbaren oder gar falsifizierbaren Fakten. )



      Derartige Meinungen sind absolut wertzuschätzen. Als genau das, was sie sind: eine Meinung, die von einem Mensch geäußert wird, der eine gewisse Prägung und Erfahrung hat. Logischerweise eignet sich ein derartiger Ansatz bestenfalls für eine Hypothese, die, wenn ernstgenommen, falsizierbar sein muß (ansonsten gleiche Liga wie das Flying Spaghetti Monster).

      Nun, um es kurz zu machen: Genau das wurde bereits getan.

      Im Englischen gibt es einen schönen Begriff dafür: "debunked".

      Wir müssen über die Hypothese (eine Theorie war das nie) einer "schizophrenogenen Mutter" ungefähr genauso viel diskutieren, wie über den "Kreationismus" oder "Intelligent Design". Nämlich gar nicht.
    • Ein Fall szientistischer Borniertheit

      Hi,
      dies ist ein ebenso dummes wie arrogantes Statement, das es selbstverständlich nicht im entferntesten für notwendig erachtet auf den wissenschaftsgeschichtlichen Zusammenhang einzugehen, weil der bornierte Szientist wie im Märchen der Igel immer schon da ist, wo seine eingewurzelten Ressentiments ihm ein kommoderweise ein einheimisches Reich seiner Wahrheit garantieren. Mehr ist auf diesem von dir, Moritz, vorgegebenem Niveau der Debatte dazu meinerseits nicht mehr hinzuzufügen. Gegen solche Borniertheit ist einfach kein Kraut gewachsen.
      Gruß
      Laci
      "Tief im Herzen haß ich den Troß der Despoten und Pfaffen, Aber noch mehr das Genie, macht es gemein sich damit." (Hölderlin)

      "Nun müssen diejenigen, welche ihre Gedanken untereinander austauschen wollen, etwas voneinander verstehen; denn wie könnte denn, wenn dies nicht stattfindet, ein gegenseitiger Gedankenaustausch möglich sein?" (Aristoteles)
    • dumm:.... beachtetet die Grundregeln der Wissenschaftlichkeit?

      arrogant: ja, vielleicht. gegenüber meschen, die meinungen haben und diese als fakten präsentieren. nicht zu überprüfen, nicht zu falsifizieren, kurz: müll....?

      und: absolut frauen- und mütterfeindlich. warum in aller welt sollen immer die mütter verantwortlich sein?
      obwohl....

      für das schizophrene kind liegt die "schuld" bei der mutter mit "double binding", für den schwulen sohn beim abwesenden vater?



      all solche konzepte sind völlig überholt, (und zwar seit jahrzehnten).

      deren aufwärmung tut mehr als weh und zeigt einen weg zurück - im schlimmsten fall einen weg, wie ihn russland und ähnliche länder gerade mal wieder vorzeigen.



      viel glück mit einer "psychiatrisierung" in ebensolchen systemen.
    • Entspannen Sie sich, Herr Doktor....

      O weiah, welche ein subtiler Rundschlag und das noch unter der Fahne des Kämpfers wider Frauen-, Mütter- und Schwulenfeindlichkeit. Kompliment. Aber nun entspannen Sie sich erst mal, Herr Doktor, ganz ruhig, kein Mensch will Ihnen Böses und die Ruskis sind so mit ihrem eigenen Chaos befasst, dass sie uns so schnell nicht heimsuchen werden. Wenn Sie sich dann beruhigt haben, lesen Sie doch einfach noch mal die vorstehenden Beiträge durch, und Sie werden erkennen (können), dass niemand hier der Rehabilitierung der These von der schizophrenogenen Mutter das Wort geredet hat.
      Gruß
      Laci
      "Tief im Herzen haß ich den Troß der Despoten und Pfaffen, Aber noch mehr das Genie, macht es gemein sich damit." (Hölderlin)

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    • Hallo,

      ohje, nun ist wohl doch ein Disput entstanden und das nur aufgrund von meiner Aussage. Hm, so schnell kann ein Funken, ein Feuer entfachen. Aber kurz zurück zu diesem Thema.

      Die Meinung, dass gerade Mütter Schuld an der psychischen Lage des Kindes haben, scheint in den Psychiatrien und Behörden noch immer die vorherrschende Meinung zu sein. Deshalb wird versucht, das Kind von der Mutter zu trennen. Dabei ist es sowohl den Psychiatrien, wie auch den Behörden völlig egal, in was für einen Konflikt sie das Kind erst Recht bringen, vor allem, wenn das Kindeswohl in gar keinem Fall gefährdet ist. Die Mütter, mehr als die Väter, werden stigmatisiert, werden außen vorgelassen, es wird im "Geheimen" gearbeitet und die Leidtragende ist hierbei nicht nur die Mutter, sondern im erheblichen Maße das in Krise befindliche Kind. Ich spreche hier nicht von Theorie, sondern von einer ganz praktischen Erfahrung, die absolut kein Einzelfall ist.

      Deshalb sollte man diese alten Theorien langsam aktualisieren. Ob das nun aber die Grundlage dafür sein kann, alles nur noch neurobiologisch zu begründen, ist für mich auch nicht ganz Schlüssig.

      Viele Grüße Heike
      Recovery beinhaltet eine Wandlung des Selbst, bei der einerseits die eigenen Grenzen akzeptiert werden und andererseits eine ganze Welt voller neuer Möglichkeiten entdeckt wird. Dies ist das Paradoxe an Recovery: Beim Akzeptieren dessen, was wir nicht tun oder sein können, beginnen wir zu entdecken, wer wir sein können und was wir tun können (Patricia Deegan 1996).
    • Es gibt einen Unterschied zwischen Entspannung und völliger Entnervung.

      Die Theorie einer schizophrenogenen Mutter überhaupt nur in den Mund zu nehmen gehört zu letzerem.

      Und JA: Es fällt genau in die unglaublich uninformierte Ecke aus der auch die anderen hier angesprochenen Themen stammen.



      Meine - hier wohl deutlich fühlbare - Frustration stammt vor allem daher, daß ich ein bisschen genervt bin, Konzepte, die tatsächlich geprägt sind durch eine äußerst konservative, normative, patriarchische Weltsicht - wiederzufinden unter dem Mäntelchen der "Antipsychiatrie".

      Das tut ehrlich weh.
    • Hi,
      da muss ich dich enttäuschen, Heike, dieser Disput ist durch keine deiner Aussagen hervorgerufen worden, sondern resultiert aus der Unfähigkeit der biologistischen Medizin über ihren Tellerrand hinauszuschauen. Moritz macht zum Zentrum seiner Polemik die Hypothese von der schizophrenogenen Mutter. Hätte er unsere Beiträge wirklich gelesen, hätte ihm auffallen müssen, dass wir längst darüber hinaus waren, und zwar in - wenn man so will - ideologiekritischer Hinsicht von deiner, in wissenschaftslogischer Hinsicht von meiner Seite, da ich die logische Beziehung der Double-Bind-Hypothese und dem Theorem von der pathologischen Mutter-Kind-Dyade in den Blick genommen hatte. Das interessiert den Herrn Dr. aber nicht die Bohne. Was außerhalb seiner biologistischen Orientierung liegt, ist per se unwissenschaftlich und nicht des Nachdenkens wert. Das gleiche Spiel im Zusammenhang mit der Debatte über die EKT. Ich beteilige mich an solchen Debatten nicht mehr, bei denen Moritz vorgibt, was geht und was nicht geht. Das führt nur zu der widerlichen Speichelleckerei, die wir hier des öfteren miterleben dürfen. Zum wissenschaftlichen Geist gehört die Fähigkeit zur Kritik und Selbstkritik. Wer nur die einer speziellen Forschergemeinschaft selbstverständlichen Gewissheiten, Methoden und Verfahren gelten lässt, mag zwar innerhalb dieses Binnenhorizontes reüssieren, verletzt aber fortgesetzt das Prinzip der Wissenschaftlichkeit.
      Gruß
      Laci
      "Tief im Herzen haß ich den Troß der Despoten und Pfaffen, Aber noch mehr das Genie, macht es gemein sich damit." (Hölderlin)

      "Nun müssen diejenigen, welche ihre Gedanken untereinander austauschen wollen, etwas voneinander verstehen; denn wie könnte denn, wenn dies nicht stattfindet, ein gegenseitiger Gedankenaustausch möglich sein?" (Aristoteles)