Destabilisierung durch Therapie? & Letzte Worte für einen einzigartigen Menschen

    Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen

    • Liebes Nüssli,

      Das ist wirklich ein harter Schicksalsschlag und Deine Trauer kann ich sehr gut nachvolluziehen. Es war ja nicht eine x-beliebige Arzt/Patientenbeziehung, sondern Du bist einem dieser seltenen Menschen begegnet, die nicht nur ihr Leben in den Dienst anderer stellen, sondern sogar die Bereitschaft mitbringen, sich in diese hinzufühlen. Dass er dich dann auch noch unterstützt hat, damit Du Deine Ziele erreichen kannst, sehe ich in der Tat auch als Vermächtnis an und er wollte ganz gewiss, dass Du einen guten Weg machst. Dazu beizutragen, Dir diesen Weg zu ebnen war ihm sehr viel wichtiger als die von ihm sicher als kleinlich empfundene Mehrung materieller Güter. Und Du kannst noch eine Gewissheit mitnehmen, er hat Dir diesen Weg zugetraut, ansonsten hätte er Dich kaum dermaßen unterstützt.- Mach´was draus"

      Wir kennen die Umstände und vor allem die Gründe für seinen Freitod nicht, nach dem was Du schilderst, scheint es aber gerade diese intrinsische Empathie für seine Patienten zu sein, deren Schicksal auch er nur endlich beeinflussen konnte, die ihn am Leben verzweifeln ließen. Ich habe auch schon psychisch Kranke als Anwalt vertreten und man merkt dann sehr schnell, wie einen das mitnimmt, auch wie deren Probleme, die man ja lösen will, unbarmherzig nach einem selbst greifen, man gerät in eine Art Co-Abhängigkeit, wobei das natürlich viel intensiver ist, wenn man sich als Arzt mit der psychischen Verfassung auseinandersetzen muss, bei mir waren es ja "hur" juristische Themen. Dennoch musste ich an irgendeinem Punkt "dicht" machen, um mich nicht selbst zu ruinieren, ich habe nur noch schlecht geschlafen und ständig war ich in Gedanken bei diesen Patienten, die überdies immer weitere Probleme geradezu magnetisch anziehen. Man wird dann leicht in die Rolle gedrängt, die Lebenszuständigkeit für andere zu übernehmen und die geben diese Zuständigkeit liebend gerne ab...

      Ich habe daraus gelernt: Ich könnte niemals einen Job ausüben, der mich tief in die Seele anderer blicken läßt, dafür würde mir die professionelle Distanz fehlen, von der ich auch annehme, dass man die sich auch nur sehr eingeschränkt angewöhnen kann.

      Es ist für Dich ein großer Verlust, aber er hat auch an Dich appelliert und wenn er sich etwas hätte wünschen können, ist es sicher, dass Du ein gutes Leben führen kannst.

      LG

      Jannis
    • Hallo Jannis,

      sein Ende ist nicht ganz dem zu großzügig ausgelebten Engagement gegenüber seinen Patienten geschuldet. Viele Dinge haben zu seinem Zusammenbruch geführt. Vor allem aber seine Vergangenheit mit der er nicht leben konnte bzw. mit der Situation wieder mit ihr konfrontiert zu werden. Als er Marburg verließ und nicht mehr als Arzt praktizierte, da ging er ins ungewisse und man warf ihm alle möglichen Steine in den Weg, die es ihm quasi fast unmöglich machten, wieder in ein geregeltes Leben wechseln zu können.
      Wenn du magst kannst du dir den Nachruf unter folgenem link anschauen. Ist sehr persönlich, aber ich finde es nicht schlecht, dass dem Namen ein Gesicht verliehen wird.
      google.de/imgres?imgurl=http%3…0&ndsp=17&ved=0CCMQrQMwAQ

      Du wirst eine ganze Weile lesen müssen, um den entsprechenden Part zu finden, aber Stefan war in seinem letzten Jahr als forensischer Psychiater tätig. Er hat das sehr ernst genommen und sich über die Willkür und die Macht erschrocken und schließlich kritisiert, die diese Menschen ausüben, teilweise ohne sich über ihre subjektiven Einschätzungen rechtfertigen zu müssen. Man hat Anstoß an ihm gefunden. Aber ich sagte ja, sowas hat ihn im Prinzip nicht interessiert. Er konnte großes Unrecht nicht ertragen. Ich denke, du hättest ihn sehr gemocht. Er hat übrigens vorher Jura studiert gehabt.

      Grüße, das Nüssli
      Was tun nach dem Absturz?
      Aufstehen. Krönchen richten. Würdevollen Schrittes weitergehen.
    • Zaubernuss schrieb:

      Ich fragte ihn "Warum machen Sie das? Das ist doch vollkommen verrückt?" - "Weil ich möchte, dass sie studieren. Und ich weis, eines Tages werden sie in der gleichen Situation sein wie ich und dann werden sie das Gleiche für einen anderen Menschen tun. Das Wissen reicht mir." Ein scheinbarer Kreislauf, der von einem Geförderten immer an den nächsten weitergegeben wird. Eine Art Tradition, vielleicht auch moralische Verpflichtung, dass man das, was man empfangen hat, einer anderen verzweifelten Seele auch zugute kommen lässt. Wie eine Mischung aus Schicksal und Bestimmung.
      Liebe Zaubernuss,

      auch von mir mein herzliches Beileid, Du wirst diesen Menschen sicherlich für immer im Herzen behalten. Gerade habe ich den kompletten Nachruf gelesen, ich kann Deine Trauer und auch Dein Entsetzen mehr als gut verstehen. Manchmal scheint das Schicksal geballt zuzuschlagen, kaum hat man sich ein wenig erholt, folgt schon die nächste Katastrophe :( . Es gab harte Zeiten, da fühlte ich mich wie 'verflucht', diese Betrachtung konnte ich glücklicherweise hinter mir lassen. Bitte vergrabe nicht den Schmerz in Deiner Seele, sondern teile ihn, wie auch Freude, mit anderen Menschen ! Wir haben viele Suizide und Versuche in der Großfamilie, den letzten Suizid hat 2006 mein Schwiegervater verübt, wir mussten uns gegenseitig Stütze sein. Aus seinem Abschiedsbrief entnahmen wir, daß das Leben mit seinen physischen und psychischen Schmerzen für ihn unerträglich geworden ist, es war keine Kurzschlußhandlung sondern klar geplant und terminiert (wir waren im Urlaub). Erst nach seinem Tod haben wir erfahren, daß er eine Borderline DX hatte, Auskünfte jeglicher Art an uns hatte er vorher verboten. Meine Frau durfte ihn auch nicht nach seinem 2 Suizidversuch in der Psychiatrie besuchen. Heutzutage kann ich ihn sehr gut verstehen, und es schmerzt auch nicht mehr.

      "Tradition ist nicht die Bewahrung der Asche, sondern das Weiterreichen des Feuers"

      Ich sehe Dich (bzw. Deinen beruflichen Werdegang) auch als Teil des Vermächtnis' dieses interessanten und vielseitigen Menschens, er würde ganz sicher nicht wollen, daß Du jetzt lange leiden mußt !

      Jannis schrieb:

      Es ist für Dich ein großer Verlust, aber er hat auch an Dich appelliert und wenn er sich etwas hätte wünschen können, ist es sicher, dass Du ein gutes Leben führen kannst.
      Ich schliesse mich diesen Worten an und füge die Worte einer klinischen psych. Oberärztin an mich dazu:

      "Reden Sie über Ihr Leid, reden sie solange Sie das Bedürfnis dazu haben. Und falls es jemand nicht mehr hören will, gehen Sie zum Nächsten ..".
      Das hat mich vor der Verbitterung bewahrt ! :)

      Alles, alles Gute,

      LG, Wendelin

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Wendelin ()

    • Ich habe den Nachruf ebenfalls gelesen, das ist schon sehr bewegend. Es scheint ein sehr sensibler aber auch sehr leicht verletzlicher Mann gewesen zu sein, den seine Vergangenheit immer wieder eingeholt hat, obwohl es sicher Lebensläufe gibt, die objektiv schwerer sind. - Aber wie könnte man das Erleben oder Empfinden objektivieren?

      Mich haben insbesondere die Stellen sehr angesprochen, in denen er kritisch mit der eigenen Zunft umgeht, zur Vorsicht beim Umgang mit Neuroleptika mahnt und (auch das halte ich für mehr als berechtigt) sich kritisch mit Sachverständigen auseinandersetzt. Vor ihm hat sich ein riesiger Berg aufgetan, der zu hoch war, um ihn zu besteigen, zumal sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunftsängste zu diesem Monstrum kumuliert haben. Was hätte man ihm raten können? Das Buch von Tolle "Jetzt" würde sicher in die richtige Richtung weisen, dann wäre der Berg sicher nicht einmal halb so hoch gewesen. Aber es ist bei diesen Ratgeberbüchern halt immer schwierig, die intellektuelle Einsicht auch in eine emotionale zu verwandeln aber darum geht es letztlich.

      Vielleicht hatte sein Arbeitgeber in Marburg sogar Recht, denn dessen Fürsorgepflicht gebietet es, den Mitarbeiter keinen persönlichen Risiken auszusetzen.
    • @ Tobi

      In gewisser Weise ist er uns sehr ähnlich. Er hatte viele Eigenschaften, die auch Bipolare mit sich tragen- besonders die sensible Natur, die Verletzlichkeit und die Art und Weise, wie er Einblick in das Seelenleben anderer gewinnen konnte. Eine unserer größten Stärken, als auch Schwächen.

      Ihr schreibt, ich sei sein Vermächtnis an die Nachwelt. Nein, er hätte nicht gewollt, dass ich resigniere. Ich bin besonders gefördert worden, weil er wusste, dass ich kämpfen kann und wenn es sein muss plötzlich von irgendwoher psychische Kräft mobilisieren kann, um wieder aufzustehen.

      Nun, wenn ich sein Vermächtnis sein soll, dann sei es so.

      Grüe, das Nüssli
      Was tun nach dem Absturz?
      Aufstehen. Krönchen richten. Würdevollen Schrittes weitergehen.

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Zaubernuss ()

    • Zaubernuss schrieb:

      Ihr schreibt, ich sei sein Vermächtnis an die Nachwelt. Nein, er hätte nicht gewollt, dass ich resigniere. Ich bin besonders gefördert worden, weil er wusste, dass ich kämpfen kann und wenn es sein muss aus eigener Kraft.

      Nun, wenn ich sein Vermächtnis sein soll, dann sei es so.
      Nicht Du als Person (?) bist sein Vermächtnis (obwohl er seelenverwand auch so etwas wie seine "Tochter" in Dir gesehen haben könnte ?) ,sondern die "Seelenverwandschaft", die gemeinsamen medizinischen und psychologischen Interessen, Deine besondere Förderungswürdigkeit. So würde ich mir das erklären, weil ich diese fast spirituelle Verbundenheit zu Menschen kenne, eine Verbundenheit, die im Elternhaus immer fehlte. Ein wenig hab ich eben in seiner Vita gelesen, auch Texte der letzten Partnerin, sowie Patientenbeurteilungen. Die Themen Trennung, Verlassensein und Einsamkeit müssen ihn verfolgt haben, werden seine inneren Dämonen gewesen sein. Und wenn dann noch körperliche Pein dazu kommt, kann es schnell zuviel werden, dafür muß man nicht einmal labil sein (als durchtrainierter Sportler habe ich 1990 nach der erneuten, langen Trennung vom ältesten Sohn, ca. 1500km weit weg, eine Lungenembolie erlitten, mindestens hypomanisch war ich auch).

      Zaubernuss schrieb:

      Nun, wenn ich sein Vermächtnis sein soll, dann sei es so.
      Gute Einstellung :) , das ist doch schon ein grosser Schritt. Und Trauer, Weinen, dem Toten noch einmal viel Raum im eigenen Selbst zu geben, ist eine wichtige Sache, danach wirst Du friedlich loslassen können. Wie immer gilt auch hier, alles braucht seine Zeit.

      Möge er in Frieden ruhen (auch in den Menschen, die ihn liebten)

      Tröstende Grüße von Wendelin

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Wendelin ()

    • Zaubernuss schrieb:



      In gewisser Weise ist er uns sehr ähnlich. Er hatte viele Eigenschaften, die auch Bipolare mit sich tragen- besonders die sensible Natur, die Verletzlichkeit und die Art und Weise, wie er Einblick in das Seelenleben anderer gewinnen konnte. Eine unserer größten Stärken, als auch Schwächen.


      Ist das wirklich eine Eigenschaft von BSlern? Vielleicht ist dann an der Diagnose tatsächlich was dran, mir gelingt es immer sehr schnell, eine persönliche Ebene zu meinem Gegenüber aufzubauen, auch im geschäftlichen Verkehr, die Leute vertrauen mir sehr schnell, wie ich finde manchmal viel zu schnell. Ich merke auch wie eine Seismograph, ob es dem anderen nicht gut geht und habe dann auch keine Scheu zu fragen, was denn los sei. Mich wundert immer wieder, wie unmittelbar, die Menschen darauf einsteigen und mir dann auch intimste Details erzählen. Allerdings schiebe ich auch nicht gerade einen Schutzpanzer vor mir her und wenn mich einer fragt, wie es mir geht, bekommt er eine ehrliche Antwort. Vielleicht ist es gerade der Umstand, dass man selber verletzlich ist, der Vertrauen schafft?
    • Er hatte nicht den nötigen Abstand zu sich selbst, zu den durch das Gehirn wabernden Gedanken.
      Er hat die Ganze Welt auf seinen Schultern gespürt, anstatt nur seine eigenen.
      Und das Schlimmste von allen, er wollte geliebt werden von seiner Umgebung.

      Sei mir nicht böse, sein Tod ist ein Negativbeispiel, wie man es nicht machen sollte.

      Heute sehe ich meine Anteile, damals war es für mich wie ein Todesurteil,
      das ich selbst meine poblige Ausbildung zum Kindergärtner nicht beenden durfte,
      ich gefeuert wurde. Trotzdem weiter machte, bis ich mich schlußendlich selbst gefeuert habe,-
      ähnlich wie Dr. Redies.

      Er hat sich einen Dr. Titel erkämpft, (wollte eigentlich Heilpraktiker werden) in der Psychiatrie und was hat es Ihm gebracht?
      Trotzdem hat es Ihm den Boden unter den Füßen davon gezogen, das er gefeuert wurde,
      (von einem Dämlack) weil er schon in der Probezeit, die für Ihn Ungerechtigkeit in seinen Augen
      nicht verschließen konnte.

      Ein erwachsener Mann, dem es an Lob und Anerkennung fehlte und daran zugrunde ging.
      Du weißt, das kleine Kinder sterben, wenn man Ihnen nur das Sanitäre und Essen gibt,
      ohne Aufmerksamkeit. In den meisten von uns steckt das immer noch drin.
      Folgediagnose: Harmoniesucht

      Die Harmonie kann man aber nur in sich selbst herstellen, vielleicht stellt sie sich dann auch
      in seinem Gegenüber ein, vielleicht auch nicht, das liegt nicht mehr in der eigenen Verantwortung.
      Fühlt man sich aber für die Harmonie anderer verantwortlich, muß man quasi relativ erbärmlich zugrunde gehen,
      weil man sich in Fremde Angelegenheiten gemischt hat, denen man völlig hilflos ausgeliefert ist
      und sich dabei verzettelt.

      Helfen kann man, aber das Paradoxe ist, dann, wenn man er gar nicht mehr (unbedingt) will.

      Noch eine Theorie, die Du um Gottes willen, nicht teilen brauchst. Ich glaube das er eher eine Berufung
      zum Heilpraktiker hatte, wie als Psychiater. (Denn die sind so überflüssig wie ein Kropf, deswegen werden sie auch oft nicht alt)

      Vielleicht hast Du mehr eine Berufung als Krankenschwester wie als Diplom Psychologin,
      ich habe mich ehrlich gesagt schon gefragt, ob er Dir wirklich einen Gefallen damit getan hat,
      mit der Unterstützung hinsichtlich des Studiums.

      Durch sein Engagement bist Du gezwungen nachzuvollziehen was für ein Segen aber auch Fluch
      sein und Dein Studien ist.

      Unbewußt wollte er wahrscheinlich auch jemanden der Ihn versteht und seine zerfahren
      und Zerrissenheit nachvollziehen kann.

      Natürlich kann man als Diplompsychologin als auch als Psychiater seinen Status nutzen
      und sehr gute Arbeit leisten, aber nur dann, wenn es gelingt nach den Examen 95 Prozent
      oder etwas mehr an dem festgefahrenen Wissen wieder loszuwerden.

      Ein Psychiater der besonders ernst nimmt, was er studiert hat, ist kein Guter und er war ein Guter.

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von positives-denken ()

    • Jannis schrieb:

      Ist das wirklich eine Eigenschaft von BSlern?
      Ich glaube schon, jedenfalls habe ich diese Eigenschaft bei allen Bipos,
      die ich kennen lernte, mehr oder weniger verstärkt wieder gefunden.
      Vermutlich ist es auch diese Empathie, verbunden mit fehlendem Ab-
      stand, mangelnder Abgrenzungsfähigkeit, die unsereins ins "Kranke"
      abgleiten läßt (?).
      Zuviel Shit-Input ergibt irgendwann Shit-Output, das haut dann auch
      den Stärksten irgendwann mal um.

      Beschäftige ich mich zuviel mit dem "Horror in der Welt" oder umgebe
      mich mit solchen "Negativlern", färbt das schleichend auf mich ab.
      Deshalb ist Abgrenzung die wichtigste Übung für mich, ich muß nicht
      immer mitschwingen !
      LG
    • Liebe Nüssli,

      ich finde keine Worte.... ich möchte dich nur fest und still drücken... du hast mir ja mal die Vorgeschichte per PN erzählt, jetzt lese ich mit Entsetzen, was passiert ist... ich wünsche dir, dass du genug Abstand findest und dass du es verarbeiten kannst... genug Kraft dazu...

      Alles Liebe

      fragile
      "Perhaps this final act was meant, to clinch a lifetime's argument
      That nothing comes from violence and nothing ever could
      For all those born beneath an angry star
      Lest we forget how fragile we are..." (Sting)
    • Besondere Eigenschaft von Bipolaren?

      Ich finde schon, dass genau das, was Jannis beschrieben hat, eine besondere Seite/Gabe der Bipolaren ist. Bei vielen von ihnen kann ich es finden, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung.
      Auch bei mir ist es schon immer so gewesen, dass Menschen mir gegenüber sich sehr schnell geöffnet haben und mir Sachen anvertrauen, die sie anderen nicht auf die Nase binden. Sie trauen sich auch frei über Suizidalität zu reden und andere hochschwierige Themen, wie z.B. Probleme die im Zusammenhang mit sexueller Nebenwirkungen bzgl. Psychopharmaka zusammenhängen oder generell wenn die sexuellen Wünschen beider Partner irgendwie nicht (oder nicht mehr) auf einen Nenner kommen. Vielleicht fühlen sie sich bei mir wohler, weil sie wissen, dass ich vieles davon selbst schon erfahren habe und weil ich sie als Mensch so annehmen kann, wie sie sind, ganz besonders mit ihren Macken und das ich weder anfangen werde, sie mit anderen Augen zu sehen noch sie in eine Schublade stecken werde und ihr Geheimnis anderen stecke. Manchmal agiere ich im Verborgenen, aber niemals, ohne zu viel zu sagen. Sowas wie: "Red doch mal mit deiner Frau, ich glaub die hat was auf dem Herzen" oder "Nimm den Luca doch mal in den Arm, ich glaub seine Mutter fehlt ihm mehr, als es den Anschein macht"- und wer clever ist, der fragt auch nicht nach, der versteht den Wink mit dem Zaunpfahl und ahnt, dass ich mal wieder mit wem geredet habe, aber darüber nicht reden kann.

      Und auch wie Jannis bin ich der Meinung, dieser Umstand dadurch entsteht, dass andere -in welcher Art auch immer gebeutelten Leute- unsere besondere Form der Verletzlichkeit spüren können und wir umgekehrt ihre.
      Menschen, die anders sind, in denen kann ich nicht so gut oder gar nicht lesen (bis auf die Sachen, die Psychologen ohnehin bei allen ablesen können, weil sie durch Emotionspsychologie darauf trainiert sind). In manche Menschen kann ich mich auch gar nicht einfühlen. Sie geben zu wenig von sich preis.

      Ich schreibe später nochmal was zu dem was Tobi sagte, aber ich bin jetzt verabredet mit einem Freund, der den Stefan auch kannte (auch Patient, auch Bipolar) und wir wollen zum Schloss fahren und dort Café trinken und nochmal über das Leben mit Stefan sinnieren. Zum Glück geht es mir heute ganz erstaunlich gut, im Gegensetz zu gestern, wo ich mich von der Arbeit freistellen lassen musste, weil ich die ganze Nacht nicht hatte schlafen können und total geknickt war über den Verlust. Dann hab ich heute noch die Reihenfolge meiner Medis umgestellt (man kennt sich ja besser als jeder andere ) und das hat sehr gut funktioniert und die Wirkung einer gut geschlafenen Nacht sollte man auch nicht unterschätzen!! Man kann sich danach deutlich besser distanzieren und die Dinge mit anderen Augen sehen!

      LG, das Nüssli
      Was tun nach dem Absturz?
      Aufstehen. Krönchen richten. Würdevollen Schrittes weitergehen.

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Zaubernuss ()

    • die Fortsetzung

      Danke fragile für das Knuddeln :heart: !!

      @ Tobi

      Stefan war kein Mensch, der sich nach Lob und Anerkennung gesehnt hat, denn er wusste, was er für uns ist. Er hat die familiäre Atmosphäre gesucht. Wie schon in der Trauerfeier gesagt wurde, er wurde von seinen Patienten über die Maßen gewertschätzt und im geistigen Sinne auf Händen getragen. Der Freund mit dem ich eben Café trinekn war, hat ihn noch kurz bevor er aus Marburg wegging zum Essen ausgeführt, um ihm nochmal zu danken für die Jahre, die er ihn therapeutisch begleitet hat. Auch wenn man bei ihm war, so entstand immer ein gewisser gemütlicher Rahmen, weil er mit einem Café getrunken hat oder wa anderes. Eben ein bisschen, wie zuhause. Ich war auch nie genervt wegen der Termine. Niemand war das. Man hat sich auf einen Termin mit ihm gefreut, denn man wusste, das würde ein guter Tag werden.

      Ich glaube auch nicht, dass er sich durch das Medizinstudium gequält hat und am Ende bereut hat, dass er nicht Heilpraktiker geworden ist. Nun, wir haben ja nicht immer über psychische Problemchen geredet. Er hat ja auch nach dem Studium (und ich habe ja nicht immer Psychologie studiert) gefragt und dann haben wir über Medizin gequatscht und ich glaube, da kam schon ganz gut zum Vorschein, dass er mit Leib und Seele Mediziner war. Man merkt das, wen jemand auf eine Konversation aufspringt und dann die Augen leuchten beim Erzählen. Ich bin mir sehr sicher, er hätte sich gewünscht, ich hätte von Biomed auf Humanmedizin wechseln können (ich mir insgeheim auch), aber man warf mir zu viele Steine in den Weg (wollten bestimmte Scheine nicht anerkennen usw.). Dunkel glaube ich mich auch zu erinnern, dass er auch mal sowas gesagt hat.

      Was das Studium angeht, fühle ich mich zu gar nichts genötigt. Er hat nur den Weg geebnet, aber was ich daraus mache, das war von Anfang an ungewiss und er wusste ganz genau, wie gefährlich es für mich sein kann, wenn ich den gleich (oder ähnlichen) Weg einschlage- und auch ich weis das sehr genau. Deshalb mache ich mir ja schon lange Gedanken darüber, wie ich alle Interessen unter einen Hut bringe, ohne das ich am Ende der Patient in der Geschlossenen bin.

      Er war fanatastisch so, wie er war und er hatte seinen Weg gefunden, aber was da noch so drumherum war, das hat ihn kaputt gemacht und das hätte nicht passieren müssen hätte es der Zufall gewollt und wir hätten es früher bemerkt. Gerade die Brüder aus der Freimaurerloge hätten ihm helfen können, denn die haben auch die Kontakte dazu. Da wär auf jeden Fall was gegangen ihn aus dem Kaff rauszuholen, dass ihn so sehr mit der schmerzhaften Vergangenheit konfrontiert hat. Mein Gott, hätte er doch nur ein Wort gesagt.

      LG, Nüssli
      Was tun nach dem Absturz?
      Aufstehen. Krönchen richten. Würdevollen Schrittes weitergehen.
    • Zaubernuss schrieb:

      Danke fragile für das Knuddeln :heart: !!

      @ Tobi

      Stefan war kein Mensch, der sich nach Lob und Anerkennung gesehnt hat, denn er wusste, was er für uns ist.


      Dann hätte sich Maslow mit seiner Bedürfnispyramide aber extrem vertan haben müssen. Bei dem, was über seine Kindheit und wie er sie empfunden haben muss, bekannt gemacht worden ist, vermute ich mal viel eher, dass er geradezu süchtig danach sein musste und gerade dieses Defizit sein ganz großes Lebensthema war. - Könnte ich jedenfalls sehr gut verstehen.
    • Man hat mich nicht richtig verstanden. Er haschte nicht nach Lob und Anerkennung, ich denke, er wusste, dass er überdurchschnittlich gut war. Er sehnte sich nach der schützenden Hülle einer funktionierenden Familie und die kann man schlecht bei seinen Patienten suchen! Das muss man schon auf privater Ebene tun. Obwohl man sagen muss unser Verhältnis schon nicht nur so ganz super distanziert Patient-Arzt war. Kennst du "Eine dunkle Begierde"? Die Konversationen zwischen ihm und Sabina Spielrein, die dort dargestellt werden? Der geistige Austausch? So waren unsere Treffen, aber im Gegensatz zu Jung, blieb alles rein platonisch. Keiner von uns hatte da andere Interessen.
      Soweit ich weis, hatte er Angst vor dem Verlassenwerden, um es mal auf den Punkt zu bringen. Aber eigentlich stehen uns solche Spekulationen auch nicht weiter zu, da derjenige sie nicht mehr gerade rücken könnte, würde er sich jetzt und hier daran anstoßen. Niemand kann mit Gewissheit sagen, was in ihm vorging und was mehr wog, als das andere. Und ändern würde es leider Gottes auch nichtsmehr an dem Ausgang dieses Dramas.

      So, nun muss ich mich leider zum Nachtdienst verabschieden!

      Gute Nacht! Nüssli
      Was tun nach dem Absturz?
      Aufstehen. Krönchen richten. Würdevollen Schrittes weitergehen.
    • Liebe, Zuwendung, Geborgenheit, aufgehoben Sein in einer Gemeinschaft / Familie, Selbstwert das hat Ihm wahrscheinlich gefehlt.
      Wenn man mit gängigen Mustern bricht und er hat viele Muster gebrochen, die für einen Psychiater typisch gewesen wären,
      braucht es viel Selbstbewußtsein, sich vom Gegenwind nicht umblasen zu lassen.
      Wenn dabei noch das Trauma aus der Kindheit nicht aufgelöst ist, von den Eltern / der Autorität angenommen und anerkannt zu werden zu wollen,
      stell ich mir das sehr schmerzhaft vor.
      Meinen Respekt hat er auf jeden Fall.
    • Umso länger ich über all die neu gewonnenen Informationen nachdenke, desto klarer wird mir, dass ich meine Förderung seinem Dasein als Freimaurer zu verdanken habe. Es ist jedoch bestimmt ungewöhnlich, dass jemand aus einer reinen Männerloge eine Frau (die gar nichts mit der Loge zu tun hat) unterstützt und den Weg zu einem Studium ebnet. Aber es erklärt auf jeden Fall, warum er das gemacht hat und warum er sagte, er sei sicher, dass ich das eines schönen Tages für einen anderen Menschen auch tun würde.
      Es ist in einer solchen Tradition, dass man dort gefördert wird und später selbst anderen auf den Weg hilft.
      Verrückt, ich habe nicht mal 2 Jahre nachdem ich selbst das Studium angetreten habe, einer Freundin und ebenfalls Bipolaren das Gleiche versucht zu ermöglichen, ohne das ich zu dem Zeitpunkt wusste, dass er Freimaurer war. Leider habe ich noch keine Rückmeldung bekommen können, ob sie das Studium bekommen hat und ob sie es auch antreten wird.

      LG, das Nüssli
      Was tun nach dem Absturz?
      Aufstehen. Krönchen richten. Würdevollen Schrittes weitergehen.
    • Zaubernuss schrieb:

      Umso länger ich über all die neu gewonnenen Informationen nachdenke, desto klarer wird mir, dass ich meine Förderung seinem Dasein als Freimaurer zu verdanken habe. Es ist jedoch bestimmt ungewöhnlich, dass jemand aus einer reinen Männerloge eine Frau (die gar nichts mit der Loge zu tun hat) unterstützt und den Weg zu einem Studium ebnet. Aber es erklärt auf jeden Fall, warum er das gemacht hat und warum er sagte, er sei sicher, dass ich das eines schönen Tages für einen anderen Menschen auch tun würde.
      Das siehst Du vermutlich richtig ! Ich habe 2 mal an einem Logentreffen teil
      genommen, das 2te Mal war es das Treffen aller europ. Großlogen, das war
      schon sehr beeindruckend. Als Event-Techniker bekam ich einen Logenbruder
      zur Seite, der mir auf Schritt und Tritt beiseite blieb. Witzigerweise war das
      ein Lehrerkollege meines Vaters, er sprach mich auf den Nachnamen an.

      Ja, ich bin (war es schon, wollte es nicht erwähnen) davon überzeugt, dass
      Du in diesem Sinne auch seine 'Erbin' bist, mit der Erwähnung Eurer Gespräche
      hat sich das verdichtet. (evtl. "Tochter" war auch nicht wörtlich gemeint)

      Ähnlich wie Jannis appelliere ich an Dich, "mach was draus, Du kannst es" !

      Lächelnde Grüße von Wendelin
    • Liebe Zaubernuß,

      hast Du die Zeilen mit Deiner "Gabe" wegeditiert ?
      Ich hätte dazu geschrieben …
      Den schwarzen Augen der Familie, dem oft abfällig
      genannten Zigeunerblut, Oma, Vater und mir, wird
      das 2te Gesicht nachgesagt. Wenn meine Mutter sich
      sterbenskrank fühlt(e), fragte sie mich immer, ob sie
      es überleben wird. Montag hat sie Geburtstag, besser,
      sie fragt mich nicht. Das Leben ist für alle endlich. :)

      Mittlerweile habe ich gelernt, mich zu schützen, ich
      lege keinen Wert auf diese "Gaben" und damit hat "es"
      nachgelassen, sehr schön.

      Als Werkstudent, später auch als Techniker, habe ich ich
      insgesamt für ca. 1 Jahr in einem alten Großkrankenhaus
      mit angeschlossener Psychiatrie gearbeitet, Kuckucksnest-
      film fast harmlos dagegen, ich wurde hypomanisch, nach
      der wiederholten Trennung vom Sohn, Frustabbau durch
      hemmungslosen Sport, kam die Embolie in den durchtrai-
      nierten Körper, der völligst frustrierten Seele. Auch des-
      halb weiss ich, dass ich mit meinen Kräften sehr sorgsam
      umgehen muß.
      Wir haben eine gewisse Handlungsfreiheit, eine Ent-
      scheidungsmöglichkeit, wir haben nicht alle Kraft der
      Welt, auch wir sind nur "Werkzeuge" der Natur innerhalb
      naturgesetzlicher Möglichkeiten.
      Tatsächlich ist nichts "Magisches" daran, es ist nur nicht
      erforscht.

      So Gott (die Natur, wir alle ..) will, alles Gute :)

      LGW



      Nachtrag:

      "Es ist jedoch bestimmt ungewöhnlich, dass jemand aus einer
      reinen Männerloge eine Frau (die gar nichts mit der Loge zu tun hat)
      unterstützt und den Weg zu einem Studium ebnet."



      Nein, es geht doch nicht um "Männer", sondern um das "Werk", zudem
      gibt es Frauenlogen.


      Auch die zunehmende "Stigma-Trennung" der Geschlechter empfinde
      ich als bedrückend, heute morgen vor dem ÄrzteHaus kamen mir 2
      Vollschleier-Tschador-Tanten entgegen, letztens sahen wir solche
      auch mit metallenen Gesichtsmasken.
      Man kann die Toleranz auch zu weit führen, demnnächst lassen wir
      steril die weibliche Kastration durchführen, Glaubens und Toleranz-
      angelegenheit, tatsächlich passiert es auch bei uns.


      Es ist ca.15-20 Jahre her, dass ich eine türkische, streng islamische
      Gruppierung (ca. 5000 Leute), Kanal 7, Kalif von Köln und Co. zu Gast
      hatte, ein deutschtürkischer, moderner Dolmetscher wurde mir vom
      Arbeitgeber zur Seite gestellt. Der arme Junge wurde abwechselnd
      rot, grün und blau vor Zorn, musste aber (sinngemäß) übersetzen:


      Krieg gegen Israel, gegen alle Gottlosen.


      2 mal haben wir vor Wien gestanden und es nicht geschafft. Jetzt
      sind wir im Land, macht Kinder, Kinder, diesmal schaffen wir es.

      Und mancher Spinner geht heute über die Türkei zur IS, durch Er-
      dogan geduldet, und läßt sich "märtyrisieren", auch eine Folge
      hemmungsloser Computer-virtuell-töten-quälen-Zockerei ?


      Mich macht es unendlich traurig (nicht depressiv), aber war es


      jemals besser ?


      "Es war schon immer schlimm, und es wird immer schlimmer"


      Momentan traurige Grüße von Wendelin

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Wendelin ()

    • Das alles ist lieb gemeint, doch quäelen mich die Selbstvorwürfe und das schlechte Gewissen. Ich war so in Trauer um meinen Vater, dass ich nicht mehr über den Tellerrand sehen konnte und nicht bemerkte, wie schlecht es ihm ging.
      Längst hätte ich ihn treffen sollen, aber ich traute mich nicht den ersten Schritt zu tun. So vielen Menschen, die ihm liebendgern geholfen hätten, wenn er doch nur ein Wort gesagt hätte, wenigstens eine Andeutung. Es hätte nicht so kommen müssen. :traurig:
      Und natürlich quält mich das schlechte Gewissen, wenn man hinterher erfährt, in welch schreckliche Situation er kam, wo er noch knapp 2 Jahre zuvor so viel in meine Zukunft investiert hat, ohne davon etwas wiederhaben zu wollen. Er war da so überzeugt von, man könnte es glatt stur nennen. Aber dieser Idealismus war vielleicht falsch. Er hat den höchsten Preis gezahlt, den ein Mensch bezahlen kann. Verdammter Mist!

      Das Nüssli
      Was tun nach dem Absturz?
      Aufstehen. Krönchen richten. Würdevollen Schrittes weitergehen.