ADHS - eine 'kulturelle Pandemie'?

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    • ADHS - eine 'kulturelle Pandemie'?

      Hi,
      unter diesem Titel veröffentlicht die Neue Züricher Zeitung - NZZ einen Essay des Literaturwissenschaftlers Manfred Schneider, der hier nachzulesen ist:

      ADHS als kulturelle Pandemie

      Die Tatsache, dass Schneider Literaturwissenschaftler ist und aus dieser Perspektive die-, tja, da wird die Kontroverse schon anfangen, 'Krankheit', 'Störung', 'normale Entwicklungsphase in einem kindlichen Reifeprozess' in den Blick nimmt, sollte nicht von vornherein zur Herabwürdigung des Erkenntnisgehaltes seiner Beobachtungen und Überlegungen führen. Oft sind Schriftsteller sehr genaue Beobachter eines Krankheitsverlaufes und vermögen dem medizinischen Personal sogar Phänomene aufweisen, die ihm ohne diese Anleitung entgangen wären. Berühmt sind die Beschreibungen von Krankheitsverläufen in den Romanen von Dostojewski (man denke nur an das Raskolnikow-Syndrom in 'Schuld und Sühne'), Tolstoi (u.a. die ans Herz greifende Erzählung "Der Tod des Iwan Iljitsch"), Iwan Gontscharow, auf dessen Roman das Krankheitsbild des Oblomow-Syndroms zurück geht, Büchner (Lenz!) oder Thomas Mann (vor allem im 'Zauberberg'). Literatur und Medizin haben sich immer wechselseitig befruchtet. Ich unterdrücke jetzt mal die Versuchung, polemisch auf das Schicksal dieses Dialogs unter der Herrschaft des 'biologistischen Paradigmas' einzugehen.

      Wie dem auch sei, wäre interessant zu erfahren, wie ihr diesen Artikel auf dem Hintergrund eurer eigenen Erfahrungen wahrnehmt.

      Gruß
      Laci
      "Tief im Herzen haß ich den Troß der Despoten und Pfaffen, Aber noch mehr das Genie, macht es gemein sich damit." (Hölderlin)

      "Nun müssen diejenigen, welche ihre Gedanken untereinander austauschen wollen, etwas voneinander verstehen; denn wie könnte denn, wenn dies nicht stattfindet, ein gegenseitiger Gedankenaustausch möglich sein?" (Aristoteles)
    • Zugegeben, wieder einmal ein sehr interessantes Thema, das Du hier zur Diskussion stellst, bei den sachlichen Beiträgen finde ich dich richtig klasse, bei den polemisch verklausulierten Tiraden gegen die hiesigen User dagegen langweilig bis höchst pseudo-intellektuel nervend.

      Man kann es wohl auf die einfache Formel bringen: ADHS spült Geld in die Kassen und wer ist da so blöd, den Stöpsel zu ziehen?
    • Ich glaube es ist ein komplexeres Phänomen.

      Einerseits sind wir in einer immer stärkeren Leistungsgesellschaft angekommen, die LehrerInnen und Eltern wollen "funktionierende" SchülerInnen, denn ohne Abi gehören die Kinder leider ja schon zu den "Verlierern". Andererseits sind wir in einer immer technischeren und computerisierten Welt angekommen, die Menschen schauen nicht mehr in die Umgebung, sondern nur noch stur auf ihr IPhone, Smartphone oder dergleichen. Und/Oder haben Stöpsel mit oft extrem lauter Musik in den Ohren. Die eigentliche Umgebung wird gar nicht mehr wahr genommen.

      In der westlichen Welt muss alles effizient und strukturiert vor sich gehen. Eltern müssen beide arbeiten, Kinder müssen nebenbei irgendwie "mitlaufen", Erziehung wird outgescourct, immer mehr Alleinerziehende die teils auch dadurch in die Überforderung gelangen, Großeltern wohnen hunderte Kilometer weit entfernt.

      An Personal wird gespart, KindergärtnerInnen bekommen nur wenig Geld, in manchen Schulen ist zu wenig Personal vorhanden.

      All das wird eine Rolle spielen, warum dann Eltern, Lehrer etc. mit quirligeren Kindern überfordert sind. Aber wie der Autor des Textes schrieb, wird es tatsächlich jene Kinder geben, die wirklich "Leiden", nur wir Menschen neigen wohl gern dazu es zu übertreiben, das richtige Maß zu überschreiten und alles was nicht so richtig nach ihrer Meinung in die "Norm" passt, dann ein Etikett zu verpassen und sie passend zu machen. Vielleicht macht ja auch die Art und Weise wie wir zur Zeit leben uns "krank"?

      Das birgt leider aber auch eine andere Gefahr. Genauso wie der Autor beschrieb, gab es in den vorherigen Jahrhunderten wohl auch "Trends", wie z.B. der "Schick" des Intellektuellen melancholisch zu sein. Diese "Überbewertung" oder leichtfertige Diagnose hilft oft nicht nur denjenigen nicht, die sie bekommen, sondern ebenso bringt sie diejenigen in Schwierigkeiten, die "wirklich" an einer bestimmten Störung leiden und verzweifeln.

      Wird nämlich eine Diagnose als Modeerscheinung dargestellt, z.B. Depression, wird es plötzlich zu einem Depressiönchen oder einfach zu einer Charakterschwäche etc. pp. Diejenigen, die wirklich an schweren Depressionen zu leiden haben, werden nicht gesehen, so wie eben jetzt auch durch die zuviel und zu häufig gestellte Diagnose AD(H)S eben jene, die wirklich schwer damit zu kämpfen haben, auch als Modeerscheinung abgestempelt werden.

      Wir Menschen sind nicht nur groß darin, überall das Maß zu verlassen, sondern noch größer darin, nur schwarz und weiß zu sehen, entweder es gibt die Störung oder es gibt sie nicht, dazwischen erkennen nur wenige Menschen etwas an, die meisten anderen Menschen sehen dann eher nur "alles Quatsch, gibt es nicht, Erfindung der Pharmalobby" oder eben umgekehrt.
      Recovery beinhaltet eine Wandlung des Selbst, bei der einerseits die eigenen Grenzen akzeptiert werden und andererseits eine ganze Welt voller neuer Möglichkeiten entdeckt wird. Dies ist das Paradoxe an Recovery: Beim Akzeptieren dessen, was wir nicht tun oder sein können, beginnen wir zu entdecken, wer wir sein können und was wir tun können (Patricia Deegan 1996).
    • Hallo,

      weder ADHS noch ADS haben etwas mit Erziehung zu tun!!!
      Ich habe eine relativ strenge Erziehung genossen und ich war als Kind auch kein Quälgeist, trotzdem habe ich es. Auch gab es kein Betreuungsdefizit (meine Mutter ging nur halbtags arbeiten, außerdem haben mich meine Großeltern umsorgt, die im gleichen Haus gelebt haben). Ich durfte keine Computerspiele besitzen, genauso wenig eine Playstation, noch Nintendo, keinen Fernsehen im Kinderzimmer, kein Handy bis zum 18. Lebensjahr, kein Fernsehen morgens (also am Wochenende, in der Woche ist man als Kind ja eh in der Schule) und es durfte kein Fernsehen während der gemeinsamen Mahlzeiten laufen, seidenn es waren die Abendnachrichten. Auch war ich kein verhätscheltes Einzelkind. Dort, wo ich herkomme, waren Kindergärtnerinnen auch gut ausgebildet, denn in der DDR musste man ein mehrjähriges Fachschulstudium machen, um Kindergärtner werden zu können.

      Für alle, die es (noch) nicht verstanden haben: AD(H)S ist vor allem eine Störung der Wahrnehmung! Das kann man sich nicht aussuchen! Man merkt es spätestens an der charakteristischen Reaktion auf bestimmte Substanzen!!
      Auch können wir uns ohne Medikamente durchaus konzentrieren, aber nur in Bereichen, die uns stark interessieren und dadurch alle Aufmerksamkeit fokussieren. Wenn ein Kind motorisch auffällig wird und zappelt, dann baut es nur enorme innere Anspannung ab, die durch die Reizüberflutung zustande kommt, was ich sehr gut nachziehen kann (selbst aber nur unter bestimmten Bedingungen mache). Weiterhin ganz entscheidend ist das Problem der typischen Impulsivität. Bei ADS vielleicht jetze nicht ganz so stark ausgeprägt, aber auch das kann man sich nicht aussuchen, genauso wie die Desorganisiertheit. Aber eigentlich sind wir nicht so desorganisiert, wir scheitern an den enormen perfektionistischen Ansprüchen. Ich kann stundenlang aufräumen und auf den ersten Blick, sieht man nur kleine Veränderungen. Aber, wenn man genau hinschaut, mache ich Sachen viel gründlicher, als andere. Aber das ist eines der Probleme, dass zum nächsten führt: Zeitmanagement! Man verträumt so leicht Zeit, weil man sich in Details verliert und so leicht ablenkbar ist. Während man ein Problem löst, kristallisiert sich schon wieder ein anderes heraus und schupps, will man das nebenher auch mal eben noch machen...was aber nicht wirklich funktioniert. Aber plötzlich and der Arbeit geht das. Man hat eben keine Freizeit, sondern ein Zeitlimit und wenn ich es im Limit nicht schaffe, muss ich Überstunden machen (und wer will das schon). Auch führt niemand in meiner Familie so sauber persönliche Aufzeichungen, wie ich, die so enorm strukturiert abgeheftet sind, denn ich hasse suchen. Es ist ein Schauspiel der Gegensätze.

      Beispiel: Ich habe damals in der Vorabi-Zeit darauf bestanden, als Einzigste meine Seminararbeit alleine schreiben zu dürfen und das nur auf schriftlichen Antrag hin bewilligt bekommen, weil ich gerade erst auf das andere Gymnasium gewechselt hatte und denen das logisch erschien, dass ich "Angst" hatte mit anderen so eine wichtige Arbeit zusammenzutragen, da ich meine neuen Mitschüler noch nicht kannte. Die Wahrheit ist, ich verlasse mich nicht gern auf andere und ich hasse es wie die Pest, wenn andere nicht für das Projekt genauso top Leistung abliefern wollen, wie ich und ich womöglich dadurch schlechter abschneide. Am Ende habe ich eine eine Arbeit fast im Umfang einer Diplomabreit abgegeben und war in Bezug auf die Seminarfacharbeit Jahrgangsbeste. Typisch ich, aber ich konnte mir das Thema ja auch aussuchen.
      Leider dachten meine Eltern, das würde nonstop so weitergehen, aber als die BS in die akute Krankheitsphase wechselte, kam erstmal der Leistungsknick.

      LG, Nüssli
      Was tun nach dem Absturz?
      Aufstehen. Krönchen richten. Würdevollen Schrittes weitergehen.