Weitere Belege für die Schädigung des Hirns durch Neuroleptika

    Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen

    • Weitere Belege für die Schädigung des Hirns durch Neuroleptika

      Hi,
      die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) veröffentlicht in ihrer heutigen Wissenschaftsbeilage einen Artikel der Wissenschaftsjournalistin Martina Lenzen-Schulte, der die Überschrift trägt:

      Wenn Psychopillen das Gehirn schrumpfen lassen. Wirksame Mittel gegen Schizophrenie haben auch schwere Nebenwirkungen: Wann tragen die Leitlinien den Risiken Rechnung?

      Wie die einschlägigen Forschungen nahelegen, führt diese Schrumpfung des Gehirns zu gravierenden kognitiven Einschränkungen der Orientierung, der Bewältigung sprachlicher Anforderungen, des Konzentrations- und Abstraktionsvermögens. Wohlgemerkt es geht dabei nicht um die krankheitsbedingten Defizite, sondern um die, welche darüber hinaus allem Anscheine nach durch die Therapie (auch) mit (atypischen) Neuroleptika verursacht werden. Ausdrücklich genannt werden in diesem Zusammenhang auch die Medikamente mit dem Wirkstoff Quetiapin. Da Seroquel bzw. entsprechende Generika inzwischen zur Standardmedikation bei der Behandlung manisch-depressiver Erkrankungen gehören, ist klar, dass uns diese Forschungsresultate unmittelbar betreffen.

      Die Autorin bezieht sich im wesentlichen auf einen längeren Beitrag von Volkmar Aderhold sowie den in Berlin tätigen Psychiatern S. Weinmann, C. Hägele, A. Heinz für die Zeitschrift Nervenarzt, der noch nicht in gedruckter Form vorliegt, seit Frühjahr des vergangenen Jahres aber online verfügbar und kostenlos herunterzuladen ist, und zwar auch hier:

      Frontale Hirnvolumenminderung durch Antipsychotika

      Der Artikel umfasst 19 Textseiten, wovon etwa die Hälfte Tabellen ausmachen, sowie ein umfangreiches Literaturverzeichnis mit 153 Titeln. Das vorangestellte Abstract hat folgenden Wortlaut:

      Zusammenfassung

      In dieser Übersicht werden die Ergebnisse longitudinaler Studien zur frontalen Hirnvolumenminderung bei Menschen mit einer Erkrankung aus dem Spektrum schizophrener Psychosen dargestellt und zur Behandlung mit Antipsychotika in Beziehung gesetzt. Nach einer systematischen Literaturrecherche wurden alle Studien ausgewertet, in denen an einer größeren Population Ergebnisse bildgebender Diagnostik zur Veränderung der Hirnstruktur im Langzeitverlauf mit Daten zur antipsychotischen Behandlung und zur Schwere der Erkrankung korreliert wurden. Die Ergebnisse zeigen, dass es eine Evidenz für eine Volumenminderung grauer und weißer Substanz des Frontalhirns gibt, die sich nicht alleine durch die Erkrankung selbst und ihre Krankheitsschwere erklären lässt, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Ausdruck einer langfristigen Antipsychotikawirkung auf das Gehirn ist. Ob sog. „Second-generation“-Antipsychotika hier einen mittel- bis längerfristigen Vorteil gegenüber „First-generation“-Antipsychotika besitzen, ist derzeit unklar. Angesichts des Beitrags von Antipsychotika zu den hirnstrukturellen Veränderungen, die offenbar kumulativ dosisabhängig sind und negative Auswirkungen für die Neurokognition, die Positiv- und Negativsymptomatik und das soziale Anpassungsniveau mit sich bringen können, sollten die Empfehlungen zur antipsychotischen Langzeitbehandlung neu überdacht werden. Vor dem Hintergrund der neurobiologischen Befunde empfehlen wir und andere, möglichst niedrige antipsychotische Dosierungen zur Symptomkontrolle einzusetzen. Bei psychiatrischen Störungen außerhalb des Schizophreniespektrums sollten Antipsychotika ebenfalls nur mit Vorsicht und nach sorgfältiger Abwägung von Risiken und Nutzen angewandt werden. In diesem Kontext werden zunehmend auch Behandlungsansätze relevant, welche die antipsychotische Medikation minimieren oder sogar einen nur selektiven Einsatz erlauben.

      Die Autorin beruft sich des weiteren auf den gut 50 Seiten umfassenden, wie sie sagt, programmatischen Aufsatz Aderholds

      Neuroleptika minimal - warum und wie

      Nun wird sicher wieder irgendein Schlaumeier einwenden: alles olle Kamellen. Mag ja sein, aber die psychatrische Praxis tendiert nach wie vor zur Verschreibung von immer mehr Neuroleptika in immer höheren Dosen-, und das sogar in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis die ersten Anzeigen wegen Körperverletzung infolge der Langzeittherapie mit Neuroleptika erstattet werden. Kein Grund zum Jubeln, denn das würde das ohnehin prekäre Arzt-Patient-Verhältnis in der Psychiatrie noch weiter zugrunde richten.

      Gruß
      Laci
      "Tief im Herzen haß ich den Troß der Despoten und Pfaffen, Aber noch mehr das Genie, macht es gemein sich damit." (Hölderlin)

      "Nun müssen diejenigen, welche ihre Gedanken untereinander austauschen wollen, etwas voneinander verstehen; denn wie könnte denn, wenn dies nicht stattfindet, ein gegenseitiger Gedankenaustausch möglich sein?" (Aristoteles)
    • Hallo Laci,

      habe dich gerade aus dem "ignore" genommen und hoffe, dass man nun auch normal diskutieren kann.

      Gestern habe ich mit einer Studienkollegin ihre Approbation gefeiert. Sie bekam schon als 15-jährige Haldol (weil nichts anderes half), schließlich Risperdal und zuletzt Seroquel. Das alles über Jahre. Vor einem Jahr bekam sie dann Blickstarrkrämpfe, Zahnradphänomen und anderes. Heute kann sie kaum noch Medikamente gegen ihre Beschwerden nehmen, weil sie auf alles mögliche Dyskinesien bekommt. Mit etwas Bauschmerzen beäuge ich, wie sie sich durch schwierige Zeiten mit Tavor und diversem bringt. Verordnen lassen muss sie sich nichts mehr. Mit ihrem Arzt-Ausweis kann sie nun in der Apotheke für sich kaufen, was sie glaubt, zu brauchen. Ansonsten nimmt sie nur noch Paroxetin.
      Aber eines muss man sagen: Sie hat trotz allem das Medizinstudium unter super schwierigen finanziellen Bedingungen beendet, dabei ihre Identität geändert, damit ihre Eltern sie nicht mehr finden können und nur mit Hilfe ihres Onkels das Ganze durchgestanden. Sie hat das Studium übrigens mit 1 abgeschlossen.

      Genau aus der selben Angst, was am Ende kommen wird und weil ich die Sedierung nicht ertragen kann, nehme ich schon lange kein Seroquel mehr (und lehne auch sonst Neuroleptika als Basistherape ab). Ehrlicherweise muss ich aber sagen, dass ich unter Seroquel am ungestörtesten studieren konnte und die besten Lern- und Prüfungsleistungen innerhalb meiner gesamten Studienzeit abgeliefert habe. Ich kann nicht behaupten, dass Seroquel schlechter denken lässt (mal abgesehen von gelegentlichem Gedankenabreißen). Im Gegenteil, weil man ein künstlich dickeres Fell hat, ist man was Stress angeht deutlich belastbarer und hat sogar kaum diese Nervosität/Ansgt vor den Prüfungen. Weil man ruhiger ist, kann man auch bessere Ergebnisse liefern. Aber ich hab das ja nicht so schrecklich lange genommen (aber schon recht viel).

      Aber auch Moritz hat Recht. Es mag sein, dass Neuroleptika nicht ohne sind, aber wenn man langjährig gar keine nimmt und man ständig Krankheitspahsen hat, dann werden auf lange Zeit gesehen, die Volumenverluste auch nicht geringer sein (vielleicht sogar eher größer?). Jedoch wird nicht jeder Patienten die Option haben, dass Lithium oder ein mood stabilizer (aus dem Antiepileptika-Bereich) ihn ausreichend stabilisieren kann.

      LG, Nüssli
      Was tun nach dem Absturz?
      Aufstehen. Krönchen richten. Würdevollen Schrittes weitergehen.
    • FAZ-Artikel: Weitere Belege für die Schädigung des Hirns durch Neuroleptika

      Hi,
      der FAZ-Artikel, der diesen Thread veranlasste, ist jetzt online verfügbar, und zwar hier:

      Schrumpfung des Hirnvolumens durch Neuroleptika?

      Gruß
      Laci
      "Tief im Herzen haß ich den Troß der Despoten und Pfaffen, Aber noch mehr das Genie, macht es gemein sich damit." (Hölderlin)

      "Nun müssen diejenigen, welche ihre Gedanken untereinander austauschen wollen, etwas voneinander verstehen; denn wie könnte denn, wenn dies nicht stattfindet, ein gegenseitiger Gedankenaustausch möglich sein?" (Aristoteles)
    • Lassen Antipsychotika das frontale Hirnvolumen schrumpfen?

      Hi,
      der Berliner Tagesspiegel veröffentlicht auf der Wissenschaftsseite seiner heutigen Ausgabe unter dem Titel Das geht auf die Nerven einen Artikel, der sich auf den im Eingangsbeitrag dieses Threads verlinkten Beitrag der Psychiater V. Aderhold, S. Weinmann, C. Hägele und A. Heinz bezieht, der inzwischen in der renommierten Fachzeitschrift Der Nervenarzt erschienen ist [*]

      Der Tagesspiegel-Artikel ist bereits online gestellt und kann hier nachgelesen werden.

      Lassen Antipsychotika das Hirn schrumpfen?

      Bei der wissenschaftlichen Forschung geht es bekanntlich nie um die 'reine Wahrheit', sondern die Suche nach neuen Erkenntnisse ist - wenig überraschend - mit einem Geflecht verschiedenster Interessen durchsetzt. Für die Durchsetzung selbst gut bestätigter wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Öffentlichkeit und ihre institutionelle Umsetzung (Implementierung) gilt das in noch viel stärkerem Maße als für die Grundlagenforschung. Insofern ist es an sich schon bemerkenswert, dass sich dieser Tage über die Fachzeitschriften und einschlägigen Online-Foren hinaus in allen großen Tageszeitungen Berichte über die neuesten Forschungsergebnisse Neuroleptika bzw. Antipsychotika betreffend finden. Die werden sich nicht mehr mit dem unsinnigen Vorwurf möglicher Irritationen der Patienten unter den Teppich kehren lassen.

      Gruß
      Laci

      ___________________________________________________________


      [*] Dieser Artikel aus Der Nervenarzt ist hier verfügbar:

      Frontale Hirnvolumenminderung durch Antipsychotika?
      "Tief im Herzen haß ich den Troß der Despoten und Pfaffen, Aber noch mehr das Genie, macht es gemein sich damit." (Hölderlin)

      "Nun müssen diejenigen, welche ihre Gedanken untereinander austauschen wollen, etwas voneinander verstehen; denn wie könnte denn, wenn dies nicht stattfindet, ein gegenseitiger Gedankenaustausch möglich sein?" (Aristoteles)
    • Nochmal, möglichst einfach verständlicht:

      "Neuroleptika" ist ein FALSCHES Wort.

      Carmabazepin (ein "Antiepileptikum") ist viel mehr ein "Neurolpektimum oder "Trizyklikum (altes Atnidepressivum) , als "Atypika".

      Man MUSS das Rezeptorprofil kennen (D1/D5, D2,D3,D5, 5HT2a-c(1-d), Ach, M, Alpha1/2, usw usf......!!!) um irgendwie eine sinvolle Einschätzung treffen zu können,.

      Dazu braucht es eine Grundausbildung: Chemie, Biologie, Molekularbiologie, Physiologie, Pathophysiologie, Pathologie, Psychologie, Statistik, Pharmakologie...... usw usf...... also ungafähr das, was man in 6 Jahre intensivstem Medizinstusdium macht).

      DANACH ca. 6 Jahre intensive Beschäftigung mit klinischen Fällen, die alle diese Aspekte integieren, und die man trotzdem und gerade deswegen lernt, integrativ zu behandeln.
    • Also wird die Einteilung nicht (mehr?) anhand der Wirkeigenschaften getroffen, sondern rein anhand des Rezeptorprofils?
      Liegt die Veränderung der Bezeichunng vielleicht auch u.a. daran, dass man früher nicht so genau wusste, welche Substanz mit welchem Rezeptor interagiert??

      Je nachdem, wessen Lehrveranstaltung man gerade besucht (und wie fit derjenige in Kenntnissen bzgl. Wirkmechanismen von Psychopharmaka ist) und wie aktuell oder veraltet die Fachliteratur ist, die man liest, hatte ich bis dahin in den Eindruck gewonnen, dass man grob alles zu den Neuroleptika gezählt hat, dass Einfluss auf Halluzinationen, Wahn und psychomotorische Erregung nimmt.

      Sowohl im Studium, als auch wenn ich in der Klinik ein Symposium besuche oder andere Veranstaltungen oder selbst wenn man nur in der Cafeteria sitzt, wo viele vom Fach davor und danach in Grüppchen rumstehen und fachsimpeln, kommt es mir so vor, dass auch dort der Begriff "Neuroleptikum" nach wie vor mindestens genauso häufig verwendet wird, wie "Antipsychotikum".

      GRüße, Nüssli
      Was tun nach dem Absturz?
      Aufstehen. Krönchen richten. Würdevollen Schrittes weitergehen.
    • Zaubernuss schrieb:

      Also wird die Einteilung nicht (mehr?) anhand der Wirkeigenschaften getroffen, sondern rein anhand des Rezeptorprofils?
      Liegt die Veränderung der Bezeichunng vielleicht auch u.a. daran, dass man früher nicht so genau wusste, welche Substanz mit welchem Rezeptor interagiert??

      Je nachdem, wessen Lehrveranstaltung man gerade besucht (und wie fit derjenige in Kenntnissen bzgl. Wirkmechanismen von Psychopharmaka ist) und wie aktuell oder veraltet die Fachliteratur ist, die man liest, hatte ich bis dahin in den Eindruck gewonnen, dass man grob alles zu den Neuroleptika gezählt hat, dass Einfluss auf Halluzinationen, Wahn und psychomotorische Erregung nimmt.

      Sowohl im Studium, als auch wenn ich in der Klinik ein Symposium besuche oder andere Veranstaltungen oder selbst wenn man nur in der Cafeteria sitzt, wo viele vom Fach davor und danach in Grüppchen rumstehen und fachsimpeln, kommt es mir so vor, dass auch dort der Begriff "Neuroleptikum" nach wie vor mindestens genauso häufig verwendet wird, wie "Antipsychotikum".

      GRüße, Nüssli
      ich finde die Diskussion um den Begriff "Neuroleptika" / "Antipsychotika" absolut nebensächlich - das hat nur einen Sinn: Von Fakten abzulenken - nämlich dass "Antileptika" od. "Neuropsychotika" ;) schwere Schädigungen mit sich ziehen.

      glg j&n
    • Hallo du!

      wir wollen hier von nichts ablenken. Ich habe aus reinem Interesse gefragt. Für ein Studium ist das nicht ganz uninteressant zu wissen, warum das so ist. Man könnte ja mal in einer Prüfung gefragt werden oder auch so...
      Wenn man viele schwere Kankheitsphasen hatte, ist das Gehirn auch nicht mehr ganz "jungfräulich" und das liegt nicht nur am normalen Alterungsprozess.
      Ich dächte Moritz hätte irgendwo erzählt Lamotrigin hätte neuropretektive Eigenschaften. Auch einige andere. Leider kann ich grad nicht nachschauen, Fachbücher sind schon im Karton und Zeit habe ich auch keine. Mache gerade kleine Umzugspause. Habe leider so Kopfschmerzen, dass ich kaum von A nach B denken kann...wahrscheinlich zu wenig getrunken....hab etwas Zeitdruck...deswegen rausch ich gleich wieder ab.

      LG, I.M.
      Was tun nach dem Absturz?
      Aufstehen. Krönchen richten. Würdevollen Schrittes weitergehen.