G'schichten aus der bipolaren Welt

    Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen

    • Lieber Jannis,

      nichts läge mir ferner, als meine Phasen durchweg "negativ" zu betrachten,
      trotzdem achte ich sehr darauf, dass sich das nicht wiederholt. Ich möchte
      meine "Erkenntnisse/ Horizonte" nicht missen, aber ich möchte auch niemandem
      den Stress nochmal antuen, auch mir selbst nicht. Für mich selbst weiss ich eine
      Manie auszubremsen, ob das anderen helfen kann, bleibt dem Einzelfall über-
      lassen. Aber dafür haben wir ja den Austausch hier. :)

      Deine G'schichte würde ich schon als Manie im Vollbild bezeichnen, "Wahn" hat
      viele Gesichter. Aber der riskante Segelturn, Geld verprassen, Distanzlosigkeit
      sprechen schon dafür. Manchmal bleibt es ja bei einer manischen Episode, und
      die Depression ist Dir ja leider auch vertraut.
      Meine Gefährdung liegt eher im Bereich der Manie / Distanzlosigkeit, scheint
      ein "Erbstück" (?) der Familie zu sein, Vaddern und Bruder können das noch viel
      "besser" als ich. Allerdings bleiben mir die Psychosen, der Wahn erspart, bzw.
      kratze ich das nur am Rande an, aber das reicht mir schon völlig, mehr will ich
      gar nicht kennen lernen ! Ruhe und Reizarmut sind beste Medizin für mich. :)

      Das Niederschreiben hat gleich mehrere "Funktionen", einmal ist es Katharsis
      durch sichtbar machen, dann schafft es Ordnung im Wirrwarr, und nicht zuletzt
      dient es als Beispiel für Betroffene und Angehörige. Humor ist dabei durchaus
      beabsichtigt, das Leben ist nicht schwarz oder weiss, jede Münze hat 2 Seiten.

      Früher habe ich meine Hypomanien in der Arbeit ausgelebt, da fiel das lange
      nicht auf. "Fleiss" wird von den Arbeitgebern ja gern gesehen, solange es nicht
      in Getriebenheit ausartet, die der Firma schaden könnte.
      Ich habe mir schon als Twen "Nischenarbeitsplätze" gesucht, die gut bezahlt
      und nicht alltäglich waren, insofern habe ich kein langweiliges Arbeitsleben
      gehabt. Ein reiner Schreibtisch-Job a la Finanzbeamter wäre mir nicht möglich
      gewesen, Jobs, die mir nicht lagen, habe ich schnell gekündigt. Früher hatte
      ich eine sehr fixe Auffassungsgabe, learning by doing fiel mir sehr leicht, das
      ist heutzutage anders. Aber der Druck in der Arbeitswelt hat sich auch ver-
      ändert, wer weiss, wie ich heutzutage als junger Mensch damit klar käme (?).
      Die Frage stellt sich zum Glück nicht mehr, ich habe ja über 40 Beitragsjahre
      voll, und meine Erwerbsminderungsrente kämpfe ich in jedem Fall durch, das
      kann ich eigentlich gar nicht verlieren. Bei einer Ablehnung schalte ich den
      SovD (Ex-Reichsbund) Anwalt ein, der weiss bereits Bescheid. :)

      Ich wünsche allseits einen schönen Tag, liebe Grüße von wendelin
    • Versteh' mich nicht falsch, ich singe hier kein Loblied auf die Manie und ich brauche das auch nie wieder. Diese Getriebenheit war schrecklich. Aber auf der anderen Seite kann ich jetzt auf Erfahrungen zurückblicken, die ich ohne das nie gemacht hatte. Ob es tatsächlich eine Manie war, wer weiss das? Die Frage scheint mir aber auch nur von intellektuellem Wert zu sein, das ist halt auch nur ein Begriff. Etwas war ganz und gar nicht in Ordnung, das habe ich sehr wohl gemerkt, aber das hat sich erledigt, zum Erstaunen der Klinik trotz Verweigerung der Medikamente.
    • Ich hab Dich schon ganz richtig verstanden, gebe Dir auch Recht,
      dass Manie letztendlich nur ein Begriff ist, das Kind muß ja einen
      Namen haben. Die Getriebenheit ist tatsächlich der schrecklichste
      Aspekt, aber es ist auch ein gutes Warnsignal, wenn man es dann
      frühzeitig wahrzunehmen gelernt hat.
      Bis auf 2 Ausnahmen, habe ich auch alle Phasen ohne Medikamente
      überstanden. Die Wochen mit Setralin Retard 99/2000 habe ich in
      gruseliger Erinnerung, stellte sich später als Fehlmedikamentierung
      raus. Internisten (Hausarzt damals) sollten lieber die Finger von
      Psych-Medis lassen und den Patienten zum Psychiater überweisen.
      Aber hinterher ist man immer schlauer .. :(
      Die gemachten Erfahrungen möchte ich auch nicht missen, allerdings
      auch niemals wiederholen !
      lgw

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Wendelin ()

    • 2005/2006 wurde unser Team ganz besonders ausgepresst,
      Termin folgte auf Termin, Weltmeisterschaften, Kongresse,
      Konzerte, die Tochter (10J.) forderte mir ihre Teilnahme bei
      Tokio Hotel ab, Bill hat dann auch Backstage ein Autogramm
      namentlich nur für sie geschrieben. Bei Udo Jürgens kackte
      ich dann in der Regie ab, ich war völlig überdreht, seit Wochen
      nicht mehr richtig geschlafen, wenn man abends heim kam,
      oder morgens aufstand, war der AB oder der Mailkasten bereits
      wieder mit Anweisungen/ Infos voll, grausames Leben. :(

      Am nächsten Tag fuhr mir im Schneeregen ein Notarzt im Einsatz
      ungebremst auf, schob mein stehendes Auto auf den Van vor mir,
      Feuerwerk im nagelneuen Auto, Airbags, Gurtstraffer und Co.

      "Gott sei Dank, es ist vorbei", war mein 1. Gedanke, so sehr fühlte
      ich mich durch die Monate vorher gequält. Aber das wäre eine ei-
      gene lange Story ...

      Jedenfalls kriegte ich nach Ambulanz, später Druck aus der Firma,
      manisch werdend, ziemlich schnell eine Eileinweisung zur Reha.
      Freitag beim Hausarzt (ohgottogott, wendelin ist vollmanisch),
      Montag zur Vorstellung in der Reha-Klinik bei der Co. Chef-Ärztin,
      Samstag die Bewilligung durch den Rententräger. Allerdings musste
      ich ein paar Wochen auf einen freien Platz warten, diese Zeit bin
      ich manisch durch die Stadt gelaufen, manches Mal sprunghaft um
      Mitternacht aufgewacht und los gelaufen. Wie Jannis schon sagte,
      man lernt andere skurrile Leute kennen, alles Erlebnisse, Begeg-
      nungen, die ich im (prallen) Leben nicht missen möchte. Wieder-
      holen werde ich das nie, eine solche Manie würde ich sofort im
      Ansatz mit Sero niederbügeln und die Psychiaterin aufsuchen, bzw.
      die Nachbarin, unsere Hausärztin.

      In der Reha-Klinik untersuchte mich die Dr.med Stationsärztin, die
      in selten Fällen auch die Psychotherapie übernahm. Sie kam aus
      Prag und war mir spontan supersympathisch. Nach der sehr um-
      fangreichen Anamnese incl. sich wiederholender Multiple Choice
      PC-Befragung, habe ich sie gebeten, meine Psychotherapie für
      6 Wochen zu übernehmen.

      Und von da an, bis heute, ging es endlich bergauf ! :P
      Sie bekam die bisherigen Diagnosen (DX), falsche Daten und Fakten
      hatte ich gekennzeichnet und dokumentiert , wir haben meinen
      "Zeitstrahl" entwickelt, Selbstanamnese, optisch als auch kommentiert.
      Gleichzeitig liefen die PC-Tests weiter, so dass am Ende ein Multi-Dia-
      gramm entstand, das meine psychische Befindlichkeit von der 1. Unter-
      suchung bis zur Entlassung darstellte, ein Zeitraum von ca. 3 Monaten.
      Fast unglaublich, wie exakt so etwas sein kann, hätte ich nicht für mög-
      lich gehalten.
      Die Therapie mit Fr.Dr.med/ Thera war ein "Genuss" ! Natürlich gab es
      Tränen, natürlich ging es mir häufiger mies, aber ich hatte Zeit, mich
      damit auseinander zu setzen, es zu dokumentieren, "es fassbar" zu
      machen. Besonders unsere mafiotischen Familienstories waren wichtig,
      natürlich wurde ich auch dort von unseren weiblichen Mafiosi-Mutter-
      tieren angerufen, Meinung, Familienpolitik machen, gruselig. Telefon
      aus, war dann die therapeutische Ansage, sehr, sehr heilsam.

      Wir hatten viel Spaß miteinander, oft hat man uns schallend lachen
      hören, was machen die da bloss ? ?( Da sie das dunkele Prag, die
      dunkele Zeit (ihre Worte), mehr als gut kannte, hatten wir viele
      Ebenen zur Diskussion, ich war zur Abi-Fahrt (1977) in Prag und ab
      1981 für 10 Jahre in West-Berlin, da gab es viel Verstehen. Erst ab
      diesem Zeitpunkt (2006) entwickelte sich ein Zutrauen für therap.
      Möglichkeiten, für Eigenbestimmung/ Selbstentstigmatisierung usw.
      Das habe ich dieser tschech. Ärztin zu verdanken ! 6 Monate inten-
      sivierte Reha-Nachsorge folgten, wöchentlich 1,5 Std. Gruppen-
      therapie. Vieles hat sich heute "aufgelöst", ich bin nicht mehr der
      bedingungslose Familienmensch, zu dem man mich erzogen hatte.
      Später mehr, lgw
    • Liebe Smarty,

      wenn man viel rumkommt, erlebt man auch viel :)

      Nach der Reha bekam ich eine Wiedereingliederung in den Job,
      jeweils 4 Wochen mit 4 Std., danach 6 Std. täglich.
      Aber erstmal wollte ich nach der Klinik mit der Familie ans Meer,
      leider hatten sich die pubertierenden Kinder ständig lautstark und
      handgreiflich in der Wolle, es war nicht die erhoffte Erholung.

      Kaum wieder heim, rief die Polizei an, SchwieVa hatte Suizid be-
      gangen, auch das zog einen Rattenschwanz nach sich, Frau musste
      die Erbschaft ablehnen. Durch einen Irrtum verlangte das Finanz-
      amt 1000€ Nachzahlung, wir hatten aber mehr zurück zu bekommen,
      wieder Behördenlauferei. :(

      Und dann kam mein Grosser aus Bayern, der Nachhilfe in Deutsch,
      English und Mathe für eine Aufnahmeprüfung brauchte. Leider hatte
      er damals nur Rap und dumme Sprüche auf Lager, dazu die "Drohung",
      wieder zurück zu fahren, wenn ich nicht so mache, wie er das möchte.
      Nach 2 Tagen habe ich ihn raus geschmissen :( .
      Und mir gings wieder genauso beschissen, wie vor der Reha, statt Manie
      jetzt Depression.
      Kurz vor meiner nächsten Phase (2008) haben wir uns bei ihm ausgesprochen,
      allerdings war er 9 Jahre nicht mehr bei uns.
      Anfang dieser Woche sind Tochter und Sohn(2) zu ihm nach Bayern gefahren,
      haben ihn 'eingesackt' und waren dann ab Mittwoch zu dritt bei uns, ich hatte
      also alle 3 Kinder mal wieder im Haus. :)
      Völlig seltsames Gefühl, ich dachte ständig, es wäre Feiertag/ Weihnacht mitten
      im Sommer. :) Wir hatten eine sehr schöne, entspannte Zeit, der Grosse hat eine
      Entwicklung durchgemacht, u.a. ein Jahr PT wegen seiner Depris, wir konnten
      uns völlig anders, viel rücksichtsvoller unterhalten.
      Gestern ist er mit dem Fernbus wieder heim, Abschiedsschmerz, aber er will bald
      wieder kommen.

      2008, nach etlichen Horrorwochen mit Überstunden und gehäuften Nachtschichten
      wurde ich wieder manisch, wieder Reha, während des Klinikaufenthaltes musste
      ich für die Kündigungsschutzklage vor Gericht. Letztendlich war die Kündigung
      ein Segen für mich, denn innerbetrieblich wurde nullkommanull Rücksicht auf meine
      Befindlichkeit genommen. Die Klinik hätte mir schon 2006 einen Schwerbehinderten-
      Antrag nahelegen sollen, dann wäre vieles anders gekommen. Aber hinterher ist man
      immer schlauer ..

      Durch die erneute Reha mit 1/2 Jahr Nachsorge, berufliche Reha, Paartherapie PT etc.
      habe ich einen anderen Umgang mit mir selbst gefunden, ich achte viel mehr auf mich,
      überseh die Warnzeichen nicht mehr. Letztendlich habe ich sogar die Furcht vor den
      unberechenbaren Phasen verloren ..freu.. :) , denn so "unberechenbar" sind sie gar
      nicht, man muß "nur" die subtilen eigenen Warnzeichen erkennen können und dann
      natürlich entsprechend handeln. Man hat mir gutes Rüstzeugs mitgegeben, und das
      wende ich auch an, Achtsamkeit und Selbstfürsorge !

      Einen schönen Sonntag wünscht Euch wendelin
    • Exitus

      Suizide und unnatürliche Tode prägen die Familiengeschichte meiner
      grossbürgerlichen, darauf so stolzen Mutter:

      Die wenig ältere Schwester hatte Pech bei der Heirat, es gab nur einen
      Justizrat (gab es damals), geizig sparsam, Fußballidiot, Frauenhasser,
      der 2 Töchter bekam, seine Grosse war die Hoffnung (zog mit 18 aus),
      seine Kleene hat er wie ein Stück Dreck behandelt, seine Frau ständig
      verprügelt, alle wussten das :( . Trotzdem blieb die aufgedunsene Tante,
      ein sehr lieber Mensch, fast ein typisches Opfer, während ihr "Justizrat"
      jahrzehntelang Vermögen anhäufte, hat sie fast betteln müssen, eine
      tragische Gestalt im protestantischem Christentum, Hilfe bekam sie nicht.
      Sie hat sich früh mit Valium und Co über Wasser gehalten, war Mitte 40
      und völlig aufgedunsen, als ich sie mal zufällig bei der Mutter wieder traf,
      samt Flasche Sekt, ein bischen abfeiern ... Wir haben uns damals super
      verstanden, viel Spass gehabt ...
      Kurz danach kam sie in die Klinik, Nierenversagen, meine Mutter war am
      Totenbett, "Schwester, wen ich es Dir nur erklären könnte" ...

      Kleines Beispiel aus der Nazizeit ? Sie hatte es gewagt, die Linsensuppe
      nicht zu essen, unter Zwang in die Schüssel zu brechen, sie musste Suppe
      und Erbrochenes essen. Mein Beispiel in der Kindheit, wenn ich Schwein-
      zeugs nicht essen mochte, es stinkt ..


      Nachdem diese immer duldsame """Ehefrau"""" buchstäblich verreckt, ver-
      gammelt ist, stellte sich raus, dass sie ihrem Mann das grosse Vermögen
      abgezockt hat , es war wenig übrig, ich hoffe doch sehr, dass sie ein wenig
      Spaß gehabt hat, die Töchter streiten sich seit ewiger Zeit ums Rest-Erbe .. :(
      Trauerspiel, scheint auch Bruder und mir vorbestimmt zu sein, das ist halt
      so, fast wie Blutrache .. im Westen Nichts Neues ? :(


      Der Himmel möge uns schützen, "nicht auf den Kopf fallen", und bei sich
      selbst bleiben zu können / dürfen,

      liebevolle, abmildernde Grüsse von wendelin
    • smartcraving schrieb:

      ich staune immer wieder, was du so alles erlebt hast!

      LG
      Smarty
      Gastfreundschaft anno 1986 :

      Auf der Durchreise gab es in Kas/Türkei ein wenig Ärger,
      spontan lud uns eine Gastfamilie ein, wir mussten zwangs-
      weise als Reisepartner/ Männer im Ehefamilienbett des
      Clans übernachten, zuckersüss und lästig, absolut nicht
      ablehnbar, sonst tödliche Beleidigung.. , das gibt es heute
      natürlich nicht mehr.

      Rüdiger Nehberg sagte vor wenigen Tagen bei Lanz, dass er
      niemals bedingungslosere Gastfreundschaft erlebt hat, wie
      im Islam, für frühere Zeiten kann ich das bestätigen, aller-
      dings reise ich nicht mehr in diese Länder ...
      de.wikipedia.org/wiki/Rüdiger_Nehberg

      Freundlichkeit, Gastfreundschaft, Friedenswillen halte ich
      für die wesentlich notwendige, auch einzeln erkämpfte
      Bereitschaft, das gibt es nicht "umsonst", bedeutet Nach-
      denken über sich selbst.

      Salam, Shalom, Friede sei mit uns

      PS: Natürlich auch "Kampfbereitschaft", falls es notwendig
      sein sollte,, hinschauen, nicht wegschauen, darüber reden
      und ändern .. wir machen unsere Welt ..

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Wendelin ()