Antidepressiva bei Bipolarer Störung - ein Bezug zur Fachtagung

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    • Antidepressiva bei Bipolarer Störung - ein Bezug zur Fachtagung

      Dein Chef hat ja bei der Fachtagung referiert über das Thema Antidepressiva bei Bipolarer Störung.
      Ja einige kann man sicher nehmen, selbst ohne Manieschutz und (im Gegensatz zu seiner Meinung) auch mit rapid cycling.
      ABER ich stimme überhaupt damit überein, dass man SSRI verwenden kann. Antidperessiva sind eh eine total heterogene Gruppe, aber ich würde sogar so weit gehen, die SSRI's nicht alle gleichartig zu bewerten. Die haben zwar alle den gleichen Wirkmechanismus, aber sind nicht alle gleich stark und ich finde das muss man auf jeden Fall berücksichtigen!! Aber wie will man die in eine Skala stecken, wo so viele Leute so unterschiedlich auf die Medikamente reagieren??

      Und die Behauptung SSRI' hätten kein hohes switch-Risiko würde ich niemals unterschreiben. Ja klar, man wird sicher bei den Studien alle SSRI's zusammen in einen Topf gehauen und als gemeinsame Gruppe betrachtet haben, das heißt dann aber auch, dass man dann nur mittlere Werte bekommt, weil die einen mehr Risiko haben, als die anderen. Dann fallen Ausreißer auch nicht so auf.

      Außerdem, wie bitte kann man das Risiko überhaupt bewerten??? Die Patienten haben ja schließlich auch andere Medikamente genommen (sehr wahrscheinlich zusätzlich mind. 1 antimanisches). Sehr wahrscheinlich waren die Konstellationen auch noch höchst unterschiedlich. Das ist ein Faktor, den man überhuapt nicht kontrollieren kann, wenn man ihn drin hat. Die einen nehmen Abilify, der nächste Zyprexa, der übernächte Lithium, der überübernächste Valproinsäure usw. Die wirken aber unterschiedlich stark antimanisch. Wie will man denn dann noch herausfinden, wie stark maniefördernd das Antidperessivum ist?? Das antimanische Mittel wirkt ja dem Effekt, den du untersuchen willst direkt entgegen! Also entweder forscht man seriös und dann muss man den Faktor antimanische Medikation konstant halten (und schließt nur Patienten ein, die alle das gleiche antimanische Mittel nehmen) oder man lässt es gleich bleiben und hält sich mit Aussagen diesbezüglich zurück. Alles andere ist unseriös und es wäre so als würde jemand sagen "Aber Moment mal, sie vergleichen hier doch Äpfel mit Birnen!" und der Forscher antwortet "Is doch Wurst, ist doch alles Obst".

      Das es keinen sicher-nachgewiesenen switch-Effekt für SSRI's gibt und dann den switch zu bagatellisieren ist eine höchst schwierige Behauptung. Wenn es nicht zu gefährlich für mich wäre, würde ich es sofort demonstrieren. Eine EINZIGE (!) Einnahme Cipralex reicht bei mir und ich werde hypomanisch, dass dir sehen und hören vergeht. Binnen weniger Stunden! Etwas derartiges Gegenteiliges, wie referiert können nur Leute sagen, die es selbst nicht haben und sich ausschließlich auf erhobene Daten stützen. Aber Menschen sind nunmal keine Statistik und nur weil etwas noch nicht sicher nachgewisen ist, heißt es nicht, dass es nicht doch vorkommt. Es mag vielelicht nicht allzu viele PAtienten betreffen, aber bei den wenigen armen Socken, wo es zum GAU kommt ist mitunter ein Leben zerstört. Ich muss dir nicht erzählen, welch schwerwiegende Konsequenzen eine (Hypo-)Manie haben kann.
      Ich finde manche Konstellationen auch nachdenkswert. Nicht alle. Aber jene, wo man 2 Medikamente hat, wo man mit aller Macht glechzeitig in die eine Richtung geschossen wird und mit dem anderen in die genau entgegengesetzte. Vielleicht mögen die sich günstig irgendwo auf ihrem Weg treffen und das irgendwie hinbekommen, aber es ist und bleibt ein absurdes Gedankenspiel. Es ist so, als würdest du Stimulanzie + Beruhigungsmitel zeitgleich einnehmen und hoffen, dass man irgendwo auf der Null-Linie rauskommt. Ich weis, ich weis, das ist alles etwas komplizierter, wegen der unterscheidlichen Bereiche in denen die wirken und was weis ich, aber ich sage ja, das Gedankenspiel bereitet mir manchmal Kopfzerbrechen...
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    • Das ist völlig richtig und würde mit Garantie jeder Psychiater/jede Psychiaterin, die sich mit bipolaren Erkrankungen befasst hat, auch so sehen.
      Im Vortrag von Heinz Grunze, der hier denke ich angesprochen wird, ging es hauptsächlich darum, nicht Antidepressiva grundsätzlich bei Bipolaren zu verteufeln und absolut auszuschließen. Diese Auffassung gab/gibt es teilweise v.a in (Teilen) der amerikanischen Psychiatrie - die Konsequenz wäre, bipolar Depressive einfach "vor sich hinleiden zu lassen".

      Ganz wesentlich ist die Aussage der INDIVIDUALITÄT.
      Es ist völlig normal und sehr weit verbreitet, dass manche auf SSRI-A ansprechen oder switchen, auf SSRI-B nichts spüren oder höchstens Nebenwirkungen haben. Antidepressiva sind HÖCHST heterogen, auch innerhalb einer "Gruppe". Jeder/jede, die klinisch "was drauf" haben, wissen das sehr genau.
      Deshalb ist es so wichtig, eine immens detaillierte Medikamentenanamnese zu machen (was hat gewirkt, was nicht, was hat welche NW gehabt, was war ganz schlimm, etc...)

      Leider passiert das zu wenig und leider erlauben die massiven Kürzungen der Gesamtarbeitszeit der Ärzte und Ärztinnen ohne entsprechende Auffüllung durch mehr Personal in Österreich seit Jänner 2015 immer weniger Zeit für ein solches sehr zeitaufwendiges aber unbedingt notwendiges Vorgehen.
    • @ fragile
      glaub ich dir sofort, dass du da Mischzustände bekommen hast. In genau diesem Zusammenhang habe ich nämlich auch meine ersten Mischzustände gahbt, die ich vorher im natürlichen Krankheitsverlauf nicht mit drin hatte. Das anitmanische Mittel war damals Abilify bei mir. Blöderweise bekomme ich seither immer mal wieder Mischzustände- wenn auch bei weitem nicht mehr so heftig. Aber das ist genau das, was ich meinte, als ich sagte, es ist schwierig mit Medikamenten in 2 verschiedene Richtungen scharf zu schießen und zu hoffen, dass man genau am richtigen Punkt rauskommt.


      @ Moritz

      Ja ich habe mich auf Heinz Grunze bezogen. Ihr seid euch nicht so 1000%ig grün, oder? Die Frage, die er am Ende an dich gestellt hat, war schon ein bisschen fies. Lass mich raten, ihr stimmt auch in der Einschätzung "Antidepressiva ja oder nein?" nicht so ganz in allen Punkten überein? Es lässt auch gewisse Rückschlüsse auf manche seiner Wesenzüge zu. Da hat sich jeder seinen Teil gedacht.

      Oh wie gerne hätte ich ihm das so gesagt, wie ich es im letzten Beitrag beschrieben habe, aber ich habs mir verkniffen. Ich kritisiere Leute nicht gern so öffentlich. Das mache ich höchstens, wenn ich weis, dass ich mich auf dickem Eis bewege und als Student muss ich eben überlegen, an welcher Stelle ich die Klappe aufreiße oder lieber schweige.

      Ich habe ja deshalb an eine Hochschulambulanz zurückgewechselt, nachdem ich nach dem Tod meines Psychiaters kurzzeitig mal in ambulanter Praxis in Behandlung war, weil man sich da pro Patient nur wenige Minuten Zeit nimmst. In der Regel 10, vielleicht auch mal 15. Auch beim Erstgespräch. Es ist unmöglich in der kurzen Zeit die wichtigsten Eckpunkte seiner Erkrankung zu erläutern und auch noch welche Medikamente man alle sgenommen hat, wenn man auch zum derzeiten Stand was sagen will. In einem Arztbrief an meinen Hausarzt stand dann drin, man hätte mich wieder auf Lamotrigin eingestellt, nachdem ich bereits Valproat, Lithium und.... genommen hätte. Sowas kommt bei raus, wenn Psychiater nur 10 Minuten Zeit einplanen. Vollkommen falsche Informationen und am Ende steht der Patient als Lügner oder derjenige, der es nicht mehr zusammenbekommt. Ich führe zu diesem Zweck mittlerweile eine Medikamentenliste, die ich gelegentlich erweitere, wenn ich was neues ausprobiert habe. Da stehen dann auch immer paar wenige Stichpunkte zum Ansprechen darauf. Ich glaube, ich habe es auch schon auf knapp 20 Medikamente gebracht.

      Vielleicht wird man weiter sein irgendwann, wenn man in de Lage ist Patienten anhand ihres Ansprechens- und Nichtansprechens-Profils bestimmten Subgruppen zuzuordnen, wo man etwa abschätzen kann, welches Medikament für ihn in Frage kommen könnte und von welchem er die Finger lassen sollte. Man muss die Studien dazu abers anders aufbauen, sonst kann man solche Subgruppen gar nicht identifizieren, zusammenfassen und leitlinienfähig machen und auch die werden nur mit Wahrscheinlichkeiten spielen.
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    • nein, die Frage am Schluß war schon ok; wenn auch irrelevant (siehe meine Ausführungen zu Vitamin D im anderen Baum), aber sowas (zumindest irgendeine kritisch-hinterfragende Stellungnahme) muss eigentlich nach den Regeln der Zunft dabei sein ;-). Es war bloß schwer zu antworten ohne gleich ein Physiologie/Biochemie-Tutorial draus zu machen.....(Vit d Rezeptoren in versch. Hirnregionen, binding proteins, Gradient, Speicher, Lipophilie.....)
      Aber wiegesagt, irrelevant.
      Insgesamt ist bei seinem Vortrag wohl anscheinend zumindest bei Dir was falsch angekommen - es war eigentlich eine Verteidigung des Einsatzes von Antidepressiva. Und eben eine Aufzählung der besten erhältlichen Evidenz - das diese beste erhältliche immer noch vergleichsweise viel zu gering ist, bestreitet niemand - nicht umsonst endet fast jedes publizierte paper mit der Feststellung "more research is needed" - das ist keine blöde leere Feststellung, sondern echt gemeint. Leider findet aber immer weniger Forschung gerade auf diesem Gebiet statt - zu wenig Geld'/Gewinn lockt..... und psychisch Erkrankte werden weniger bemitleidet als zB Krebs- oder HerzinfarktpatientInnen.....
    • Nein, da täuschst du dich, ich habe sehr deutlich verstanden, dass man rüberbingen wollte, dass man (im Gegensatz zu den amerikanischen Kollegen anhand der derzeitigen Studienlage) AD's an sich nicht generell verteufeln sollte und das es Patienten gibt, die davon profitieren. Zu der Patientengruppe habe ich selbst jahrelang dazugehört. Die ewig währende pro/contra Antidepressiva-Diskussion währt ja schon seit Langem und das man hier anders behandelt, als z.B. in den USA.

      Aber gewisse verallgemeinernde Aussagen haben mich gestört (die könnte man falsch verstehen) und wie man zu diesen Ableitungen gekommen ist und was man da empfielt. Wenn ich da an das eine oder andere Präparat denke, sträuben sich mir die Nackenhaare. Nicht jeder Psychiater ist in der Verschreibung bestimmter AD's bei Bipolaren so fit, wie vielleicht manch anderer. Wenn sich ein solcher Psychiater strikt an das Gesagte hält, dann gute Nacht. Das Problem ist, dass ich gleich mehreren Exemplaren von Psychiatern über den Weg gelaufen bin, die solche Empfehlungen ohne weiter nachzudenken für bare Münze halten und sich eben nicht die Mühe machen, dass für den individuellen Patienten zu überdenken.
      Es mag ja sein, dass du weist, dass er im Stillen persönlich z.B. nicht alle SSRI's gleich einstuft, aber das ist ja auch dein Chef. Wir aber kennen seine persönlichen Vorlieben nicht. Rüber kam das nicht und dann ist das ein Problem seiner Performance und nicht die Schuld der Zuhörer, die das nicht erahnen können.
      Nichts deto trotz kann man nicht wegdiskutieren, dass die Art und Weise, wie man zu diesen Erkenntnissen gekommen ist, nicht ganz astrein ist. Zu viele Einflussfaktoren, die eine Verallgemeinerung nur mit Bauchschmerzen zulassen.

      Problematisch fand ich die Aussage, Manien seien weniger schlimm als Depressionen. Ich gebe zu, damit hat er an Sympathiepunkten dramatisch verloren. Ja klar in der Manie leidet der Patient auch noch nicht wirklich- das kommt erst danach. Da erschlich sich mir der Verdacht, dass er da was nicht ganz verstanden hat an der Erkrankung. Das tut mir leid, das ist meine persönliche Meinung und ganz offensichtlich sah ich das nicht alleine so, denn sonst hätten sich nicht so viele empört dazu geäußert! Wenn man jemanden kennenlernt, der nur noch verbrannte Erde um sich herum hat und überall Hausverbot, der sich seine besten Freunde auf ewig vergrault und alles Geld verloren hat und auch den Job und sich auch bei seinen Nachbarn nicht mehr sehen lassen kann, dann versteht man erst, welche Macht der Zerstörung so eine Manie haben kann. Wenn man genug austickt muss man auch Angst haben irgendwann in der Forensik zu landen. Und mit den Erinerungen an diverse Zwangsbehandlung klar zu kommen scheint auch nicht ganz ohne zu sein. Ein Bekannter von mir möchte deshalb eine Traumatherapie machen- die man abgelehnt hat. Das Ausmaß des Trümmerhaufens der Manie ist mitunter auch maßgeblich für die Stärke und Länge der darauffolgenden Depression. Das darf man nicht vergessen und sich nicht von den lustigen Schilderungen mancher Betroffener in die Irre führen lassen. Die sehen das im Nachhienein mit einem lachenden und einem weinenden Auge- anders kann man das wahrscheinlich nicht verkraften.
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    • Es ist sowieso ein großes Problem mit allen Leitlinien, Therapieempfehlungen etc.;
      Ich z.B. finde immer die Frage nach der bestimmten Wirkungen von genau einem Präparat verallgemeinernd zu viel Nonsens führt.
      Das kann viele sehr verschrecken oder fälschlich motivieren - "Präparat X" war bei mir GANZ schrecklich, wenn jemand sowas aufschreibt muss er/sie ja wahnsinnig sein usw.,.....

      Viele Bipolare vergessen sehr viel von ihren manischen Phasen und erleben häufig nur den Scherbenhaufen danach - klarerweise nicht mehr manisch, sondern dann sehr schnell depressiv. Einige brauchen schon ihre Zeit, um den Zusammenhang zu finden, und die scheuen dann sehr oft die Manie, weil ihnen bewußt ist, wie unheimlich viel sie kostet, in jedem Sinn.
    • Genau deswegen sagte ich ja

      Zaubernuss schrieb:

      Aber wie will man die in eine Skala stecken, wo so viele Leute so unterschiedlich auf die Medikamente reagieren??
      Wir staunen hier ja schon immer über uns, wie unterschiedlich wir hier schon auf Medikamente reagieren und ich persönlch staube ja selbst über mich, wie sich meine eigene Reaktion auf Medikamente geändert hat.
      Es gibt bestimmt aber Medikamente, die sind stärker als andere und da wird man auch sicher mehr "Zwischenfälle" beobachten können bei einem bestimmten Teil von Patienten...

      Nachtrag:

      Ich hatte heute morgen nach dem Aufwachen so eine klizekleine Eingebung, die die Sache noch in einem anderen Licht erscheinen lässt. Manchmal sind Antidepressiva womöglich gar nicht schuld an einem switch. Das Risiko mag ein bisschen höher gewesen sein. Vielleicht, vielleicht auch nicht, aber ich dachte gerade an ein Mitglied aus unserer SHG und der bekommt alle paar Jahre seine Manie, obwohl er jede Menge Manieprophylaxe einnimmt. Wenn genug externe Faktoren zusammenkommen (oder DER entscheidende), dann knallt es wieder. Vielleicht sieht es der natürlich Krankheitsverlauf, der (mir scheint es so) bei manchen im inneren weiter vor sich hinläuft, so vor, es spätestens alle paar Jahre zur Manie kommt. Er nimmt z.B. kein AD und auch sonst nichts antidepressiv wirksames aus Angst vor Manie und gurkt so eben 2 Jahre lang nach jeder Manie an einer Depression rum, weil die Manien bei ihm so schwer sind und er kein Risiko eingehen will.

      Es gibt noch ein ganz aneres Problem. Unregelmäßige Einnahme. Solange ihr eure Patienten im stationären Setting an der Studie teilnehmen lasst ist es nicht das Problem, aber sobald es draußen weitergeht oder der Patient von Afang an nur ambulant war.
      Das ist generell schon ein riesen Problem mit dem man mehr Krankheitsphasen schaffen kann, als der natüriche Verlauf vorsieht, aber wenn jemand z.B. morgens das AD nimmt, weil es ihn aktiviert und abends sein antimanisches Zeug (weil es ihn sediert, z.B.) Serowuel und der es abends immer wieder mal vergisst, dann würde es mich nicht wundern, wenn die Neurochemie in seinem Gehirn entgleist bei so viel Chaos.
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