Der kleine, große Moment

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    • Der kleine, große Moment

      Jede und jeder von uns hat ihn. Oder nicht?
      Den kleinen großen Moment im Leben, an dem sich alles aufhängt.
      Zum Guten.
      Zum Schlechten.

      Aber er ist da.

      Vielleicht der eine große Auftritt.
      Vielleicht der eine große Absturz.
      Der eine Tag, wo man mal trotz allem gehandelt hat.
      Der Moment, wo das Glück einen verließ.
      Der Moment, wo man ohne Abzüge glücklich war.

      Das eine Mal, wo man gekündigt hat.
      Und das in der Grottenbahn oder einem vergleichbaren Etablissement!

      Der Moment,wo die besten Freunde Adé und tschüssi waren, oder wo die ungeliebte, Halbschwester ungeahnt ungewollt und unheimlich zu einem Stand.

      Man kann das nicht ungeschehen machen, kann man?

      Bleibt man dann hängen, dann, in diesem einen großen Moment?
      War es da, wo alles begonnen hat?
    • Ist es sinnvoll eine Moment für den weiteren Verlauf des Lebens verantwortlich zu machen? Tun wir das vielleicht, weil wir das Bedürfnis nach Erklräung haben? Aber kann man das überhaupt an einem einzigen Moment todsicher festmachen?
      Und wenn ja, ist das eine gute Sichtweise, die einen voran bringt?
      Was Vergangenheit ist, ist nicht änderbar. Auch nicht dieser antscheidende Moment. Er ist auch nicht einfach wiederholbar.
      Wäre es nicht sinnvoller das lockerer zu sehen, innerlich beweglicher zu sein, und die Vergangenheit mal beiseite zu schieben, um sehen zu können, was die Welt JETZT so mit sich bringt.
      Ich glaube manchmal auch, dass wir selbst es sind, die dem Verlauf des Lebens eine bestimmte Richtung geben, abhängig davon, wieviel Bedeutung wir bestimmten Dingen beimessen.

      Ich habe etliche Schlüsselmomente erlebt. Positive, wie negative. Man kann nur überleben, indem man es irgdnwann ruhen lässt und sich auf zukünftige Dinge freut. Nicht zu große Ziele weit entfernt ansteuern. Viele kleine Zwischenetappen, die realistisch zu erreichen sind. Große Ziele machen oft großen Kummer und das eine große Zeitstrecke lang.
      Ich musste auch erst erkennen lernen, dass man beides annehmen lernen muss. Gute Wendungen, wie schlechte. Mit guten Wendungen habe ich größere Probleme, obgleich sehr negative die schmerzhaften sind. Wenn man vel schlechtes erlebt hat, dann wagt man kaum noch zu glauben, dass man auch mal viel Gutes erlebt oder mal überschnittliches Glück hat.

      Die Frage war, ob man hängen bleibt. Anfangs ja. Danach muss man sein Leben irgendwie neu ordnen und anfangs hat man keine klare Vorstellung davon, wie das gehen soll. Und manchmal macht es plötzlich einfack "klick" und plötzlich hat man wieder Kraft, kann andere Wege sehen (und GUT finden!), dann lassen sich wieder Dinge bewegen. Diese Aufbruchsstimmung ist sehr schön. Am intensivsten habe ich das nach dem Verlust meines Kindes erlebt. Das war da gerade ein halbes Jahr her. Da wusste ich, es ist jetzt Zeit für etwas anderes. Nochmal ganz neu anfangen. Man wird so fiebrig (?). Da ist Neugier und Vorfreude, aber auch Ängste. Plözlich von einem Tag auf den andeen wusste ich, es ist vorbei, jetzt kommt etwas Neues. Dann hab ich mich auf mein Studium beworben. Die Chancen standen schlecht. Und dann wurde das Unmögliche möglich. Ich schämte mich ein bisschen. Ich hatte dem Leben gar nicht mehr vertraut.

      Aber sind diese Schlüsselerlebnisse wirklich soooo wichtig? Philosophische Frage: Wer klebt eigentlich mehr daran?: Patienten oder Psychiater/Psychologen, die gerne eine auslösende Situation notieren wollen, um daran irgendwas festzumachen?
      Ihr bezieht das ja auf die Erkrankung. Aber solche Erlebenisse können ja extrem unterschiedlich sein und quasi in jedem Bereich. Ich wanke immer zwischen dem, was sich Leue auch ganz gerne mal vormachen und dem echten Einfluss.

      Was sagst du denn hatschepsut als Betroffene(r)? (Sorry, du hast so lange nicht geschrieben, das ich des Geschlechts nicht mehr sicher bin)

      Und es würde mich interessieren, welchen Eindruck Moriz gewonnen hat? Was erzählen Patienten denn so und wie groß schätzt du den Einfluss dieser Ereignisse?? (Ich frage deshalb, weil der Ausbruch einer BS ist ja eher eine multifaktorielle Geschichte). Gibt es Patienten, wo du denkst, sie haben sich da zu sehr auf eine Sache versteift und treten dann auf der Stelle, hätten aber echtes Potential zur Verbesserung, wenn sie sich davon distanzieren könnten und Vergangenheit auch mal Vergangenheit sein lassen können??
      Was tun nach dem Absturz?
      Aufstehen. Krönchen richten. Würdevollen Schrittes weitergehen.

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    • Ich erlebes Beides:
      DEr "eine"Moment", der SO wichtig ist, dass er vieler Therapiesitzungen bedarf.
      Aber dann: Die Erkenntniss meistens, dass der "eine" Moment eine Vielzahl vieler Momente ist, die wiederkehrende Themen behandeln.........
      Sogesehe: Superwichtig, den "einen" Moment zu (er)kennen, aber dann umso wichtiger die weitere Relevanz/bzw. verbindende Momente zu identifizieren.
    • Ich habe da noch mal drüber gegrübelt, was hatsche meint (im Grübeln bin ich nämlich total super [sagte sie mit einem gewissen Sarkasmus]).

      Es ist nicht das erste Mal, aber seit ich von dem (nennen wir es) "Ding" in meinem Kopf weis (nein, ich mein nicht mein Gehirn, sondern das wachsende Teil an meiner Hypophyse), habe ich ein weiteres Mal das Gefühl in einem Moment hängengeblieben zu sein. Die Welt dreht sich weiter, aber man selbst scheint viel langsamer zu sein. Alles ist genauso wie immer und doch fühlt sich das Leben anders an. Und es flutscht nicht mehr so gut. Man fühlt sich aus dem Leben irgendwie ein Stück weit herausgerissen. Da türmen sich so viele Berge auf voller Ungewissheiten.
      Man liest einen doofen Brief und dann findet man nicht zurück. Anfangs macht man sich was vor. Vielleicht wars anfangs wirklich besser. Aber dann kommt diese Zeitstrecke und wie Menschen so sind, können sie nicht anders, und müssen immer zurück blicken und resümmieren und Bilanz ziehen und merken, dass sie Sachen schleifen lassen, unerklärliche Unlust haben sich um Dinge zu bemühen, die ihnen eigentlich sehr wichtig sind. Aber die Luft ist raus. Das Leben zieht weiter. So gesehen hört dieser Moment gar nicht auf. Er wird zum Dauerzustand. Und diese komische Stimmung, dass es nicht mehr so ist, wie vorher, zum ständigen, lästigen Begleiter.
      Was tun nach dem Absturz?
      Aufstehen. Krönchen richten. Würdevollen Schrittes weitergehen.
    • Philosophische Abschweifungen...mein Freund und ständiger Begleiter, der Sarkasmus

      Vorhin noch (ich rede von vor ein paar Augenblicken, alljenen, bevor mich die Fassung verließ und ich jämmerlich anfing zu heulen), da erinnerte ich mich an den Typen, der vor ein paar Wochen einen Vortrag in der Psychiatrie hielt, in dem er eröffnete, das Bipolare 25 Jahre früher sterben. Mich ekelt diese Arroganz schon an, dass man sich nicht die Mühe machen muss anzunehmen, dass unter den wenigen Anwesenden (nur so viele, wie in einen Seminarraum durchschnittlicher Größe für gewöhnlich passen) vielleicht auch jemand Betroffenes sein könnte, denn Bipolare finden sich doch nicht unter Fachpublikum. Sie sind das Objekt der Behandlung. Nicht andersherum. Bipolare erwartet man ja für gewöhnlich nicht in solch einem Kreise. Eher unter den Hartz-IV-Empfängern. Deshalb hat man das auch so direkt heraus formuliert ohne jeden Schnörkel oder so.

      25 Jahre- das ist ein VIERTELJAHRHUNDERT. Ein paar Jahre weniger, als ich auf der Welt bin. Für mich also eine gefühlte Ewigkeit. Aber im Grunde nur ein Durchschnittswert. Das heißt, es gibt also ein paar Glückiche, die haben eine fast normale Lebenserwartung und andere sterben noch wesentlich früher. Vermutlich nicht natürlicher Ursache. Darüber möchte ich lieber gar nicht nachdenken...

      Das Taktgefühl der vermeintlich "sogenannten Gesunden" lässt manchmal wirklich zu wünschen übrig. Dennoch sagen sie hier und da einfach unverblümt die Wahrheit, aber wäre mein Leben nicht länger, würde ich solche Wahrheiten nicht kennen? Es hätte nur gefehlt, dass man gesagt hätte in der Annhame jemand Betroffenes wäre da: Machen sie sich nichts draus. Das ist alles nur Statistik. Das Leben steckt voller Ungewisheiten. Sie könnten theoretisch morgen auch von einem 20-Tonner überfahren werden, dann wären die 25 Jahre verkürzte Lebenszeit quasi schon eine positive Prognose!
      Aber warum stört das einen so? Weil auch wir auf unerklärliche Weise an diesem Leben hängen? (Zeitweilig zumindest, wobei die Anteile wild gemischt sind) Weil wir nicht wollen, dass wir früher den Abgang machen und dann noch schneller vergessen werden, wo wir ohnehin das Gefühl haben weniger wert zu sein als andere? Aber letztlich ist es nicht so, dass wir bemerkt und nicht vergessen werden wollen, vielmehr will das Universum bemerkt werden. Für manchen von uns eine sehr unspaßige Sache.

      Die "anderen" aus meinem Jahrgang um mich herum, die machen so normale Sachen. Sie lernen wen kennen, sie paaren sich, sie heiraten, sie bekommen Kinder, haben ziemlich schnell ein Studium abgeschlossen und überlegen schon ein schnuckiges Häuschen zu finanzieren. Ma munkelt, es gibt auch ein paar andere, die versandet sind. Welche, die ihr Studium an die Wand gefahren haben, die machen jetzt eine Ausbildung. (Die Verächtlichkeit, die manche in das Wort Ausbildung legen ist schon bemerkswert). Nun ja, wenigsten ist mir mein Studium geblieben, auch wenn mich sonst alle verlassen habem. Mein Leben dreht sich irgendwie im Kreis und nichts ist mehr so, wie es früher war und doch herrscht irgendwie Stillstand.

      Ich habe eine Weile auf den letzten großen Keks mit der Erdbeerfüllung gestarrt und überlegt, ob ich ihn essen solle oder ob das irgendwie sträflich wäre. Ob ich ihn nicht symbolisch aufheben sollte. Ich habe ihn schließlich doch ohne viel Aufsehens von seinem kurzen Keks-Dasein befreit. Ich werde keine Spuren in der Welt hinterlassen, der Keks wird es erst recht nicht tun. Für wen sollte ich ihn auch aufheben? Es ist keiner mehr da. Na ja, außer meiner Ma. Was soll ich in diese bescheuerte Betamungs-WG fahren und freudig verkünden: Hey Ma! Ich habe Weihnachts-Kekse gebacken! Tja, ist ja doof, du kannst ja keine essen. Genau genommen kannst du nichts essen. Aber du mochtest ja Weihnachten eh nicht.

      Es widerstrebt mir zutiefst Weihnachten dorthin zu fahren. Schon letztes Jahr war ich Weihnachten nicht bei ihr. Das Jahr davor auch nicht, da hatte ich Epstein-Barr. Bin ich deshalb jetzt ein schlechter Mensch? Ich fühle mich jedenfalls wie einer. Als wäre mein Herz kalt, wie ein Stein, aber in Wirklichkeit schmerzt es, als hätte ich mich brutal verbrannt. Ohne den Beistand meines Vaters kann ich ihren Anblick ganz besonders an Weihnachten nicht ertragen. Er wird mir nie wieder zu irgendetwas Beistand sein. Da fällt mir gerade ein: Er passt hervorragend zur Statistik. Er ist 20 Jahre vor seiner Zeit gegangen. Er braucht auch keine Kekse mehr. Nein, ich kann und will nicht Weihnachten in einem isolierten Zimmer sitzen und Monologe am Krankenbett meiner Mutter halten und Dinge erzählen, die sie nicht kommentieren kann, Dinge und Menschen, die sie nicht erinnern kann. Wie ich diese gekünstelten verkrampften Unterhaltungsversuche immer gehasst habe. Für den, der da im Bett lieht, muss das wie seelische Folter sein, denn das Leben findet außerhalb des Beatmungszimmers statt. Das einzige beständige Geräusch in ihrem Zimmer ist ihr Röcheln durch die Trachealkanüle und das Raunen das Sauerstoffkonzentrators, nur unterbrochen von den fürchterlichen Geräschen, wenn sie abgesaugt wird. Eine Geschichte ohne Happy End. "This is the end", wie Adele im Song zu Skyfall fand. Das lange und traurige Ende eines sehr langen und zerstörerischen Alkoholikerdaseins.

      Es ist und bleibt wahr: Das Schicksal ist ein mieser Verräter. Es betrügt mich, um mein Leben. Wenn die Erkrankung mich nicht umbringt, dann ist es die schiere Bedeutungslosigkeit des Lebens mit ihrer besten Freundin, der unerträglichen Last der Einsamkeit.

      Trübe Gedanken an einem trüben Wintertag.
      Was tun nach dem Absturz?
      Aufstehen. Krönchen richten. Würdevollen Schrittes weitergehen.

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