Familienplanung und Schwangerschaft

Eine sorgfältige Aufklärung aller bipolaren Patientinnen im gebärfähigen Alter über den möglichen Einfluss der medikamentösen Therapie auf Fertilität, Kontrazeption und Schwangerschaft sollte zur routinemäßigen Behandlung gehören und gut dokumentiert werden.

Fertilität

Valproinsäure wurde mit einer erhöhten Rate an polycystischem Ovar-Syndrom in Verbindung gebracht und könnte auf diesem Weg die Fertilität mindern. Bei Patientinnen mit explizitem Kinderwunsch wird es nicht als Therapieoption erster Wahl empfohlen (Goodwin, 2009). Antipsychotika, die den Prolaktinspiegel erhöhen, können Libidoveränderungen und Zyklusstörungen auslösen.

Kontrazeption

Carbamazepin kann durch Enzyminduktion zu einem vermehrten Abbau von oralen Kontrazeptiva führen und deren Wirksamkeit verhindern. Auf diesen möglichen Effekt sollen alle Patientinnen im gebärfähigen Alter ausdrücklich hingewiesen werden. Umgekehrt können orale Kontrazeptiva den Blutspiegel von Lamotrigin senken.

Einfluss einer Schwangerschaft auf den Erkrankungsverlauf

Gravidität und Entbindung gehen mit erheblichen und zum Teil relativ abrupten physiologischen Veränderungen einher, die ein Risikofaktor für die Auslösung affektiver Phasen bei bipolarer Veranlagung sind. Das erste postpartale Monat scheint dabei besonders kritisch und ist ein typischer Zeitpunkt für die Erstmanifestion (Munk-Olsen , 2006). Insgesamt kommt es bei mindestens 25% aller bipolaren Patientinnen postpartal zu einem Rückfall. Das Risiko für ein Rezidiv während der Schwangerschaft scheint sich zu verdoppeln, wenn eine zuvor verabreichte phasenprophylaktische Medikation nicht weitergegeben wird. Es kann durchaus erhebliche Raten von mehr als 50% aller Fälle erreichen (Viguera , 2007). Rückfälle während der Schwangerschaft können einerseits selbst einen negativen Einfluß haben, andererseits kann zu ihrer Behandlung letztlich sogar ein höherer Medikamentenbedarf entstehen. Daher sollte das große Risiko beim Absetzen einer phasenprophylaktischen Medikation während der Schwangerschaft sehr sorgfältig gegen einen möglichen Nutzen durch Wegfall eventueller teratogener Medikationseffekte abgewogen werden.

Streß und erhöhte
Streßhormonausschüttung

Suizid der Mutter

Alkohol- und Drogengebrauch

Physische Gewalt

Mangelernährung

Verminderte mütterliche Fürsorge und
Zuwendung

Sexuell übertragbare Erkrankungen
Intrauterine Infektionen

Risiko für Neugeborenes durch
postpartale Manie, Depression oder Psychose

In vielen Fällen wird die Basistherapie unter sorgfältigem Monitoring auch während einer Schwangerschaft fortgeführt und verläuft in der Mehrzahl ohne wesentliche Komplikationen.

Teratogenes Risiko

Wegen der verhältnismäßig geringen Fallzahlen gibt es für viele Psychopharmaka nur eingeschränkt bewertbare Erkenntnisse zu Teratogenität, neonatalen Nebenwirkungen und längerfristigen Effekten auf die Entwicklung.

Antiepileptika
Von allen verschiedenen Medikamentengruppen, die in der Behandlung bipolarer Erkrankungen verwendet werden, sind Antiepileptika vermutlich die am besten untersuchten. Sie scheinen insgesamt ein vergleichsweise hohes teratogenes Potential aufzuweisen. Vor allem unter Therapie mit Valproinsäure ist das Malformationsrisiko deutlich erhöht und erreicht das zwei- bis dreifache im Vergleich zu medikationsfreien Schwangerschaften. Das Risiko steigt dosisabhängig und erreicht die höchsten Werte bei einem Serumspiegel > 70µg/ml oder Dosierungen > 1000mg und bei Kombination mit anderen Antiepileptika. Überdies scheint es eine Assoziation mit Entwicklungsverzögerung und einem verminderten IQ beim Nachwuchs zu geben. Zusammenfassend stellt Valproinsäure nach heutiger Erkenntnis vermutlich die problematischste Substanz innerhalb der Gruppe dar. Die meisten Untersuchungen zu Carbamazepin zeigen ein in etwa verdoppeltes Malformationsrisiko. Typische Antiepileptika-assoziierte Fehlbildungen sind vor allem Neuralrohldefekte. Zur Prophylaxe wird eine Substitution mit Folsäure (5mg/die) empfohlen. Lamotrigin galt längere Zeit als vergleichsweise wenig teratogene Substanz. In letzter Zeit gibt es jedoch ebenfalls Hinweise für eine leicht erhöhte Fehlbildungsrate, insbesondere für LKG-Spalten.(Holmes , 2008)

Lithium
Frühere Untersuchungen ließen eine klare Assoziation von Lithium mit kardiovaskulären Fehlbildungen, vor allem der seltenen, aber schwerwiegenden Ebstein-Anomalie, annehmen. Diese konnte jedoch in neueren Studien nicht mit derartig deutlicher Ausprägung bestätigt werden und Lithium gilt heute nicht mehr als Hochrisiko-Teratogen. Ingesamt scheint das Malformationsrisiko etwa 1.5fach erhöht zu sein.

Antipsychotika
Obwohl es einzelne Berichte über Fehlbildungen unter typischen und atypischen Antipsychotika gibt, weist die bisherige Datenlage nicht konsistent auf ein spezifisches teratogenes Risiko hin. Aufgrund der spärlichen Daten kann ein solches zwar nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, gilt jedoch als nicht wahrscheinlich oder nur gering ausgeprägt . Allerdings wurde über eine erhöhte Rate von Schwangerschaftsdiabetes unter verschiedenen Antipsychotika berichtet (Reis und Kallen, 2008).

Antidepressiva
Die Datenlage zu teratogenen Effekten von Antidepressiva sind widersprüchlich. Während eine große Meta-Analyse keinen signifikanten Einfluss fand (Einarson und Einarson, 2005), wurde in einer neueren Studie eine unspezifisch gering erhöhte Malformationsrate bei SSRI-Gebrauch in der Frühschwangerschaft gezeigt (Wogelius, 2006). Werden SSRI bis zur Entbindung gegeben, ist möglicherweise die Rate einer persistierenden neonatalen pulmonalen Hypertonie erhöht, weswegen oft das Absetzen ein bis zwei Wochen vor dem geplanten Geburtstermin empfohlen wird. Trizyklische Antidepressiva sind insgesamt weniger untersucht.

Betreuung in der Schwangerschaft

Wenn immer möglich, sollte eine Schwangerschaft im Voraus mit der Patientin und den behandelnden Ärzten und Ärztinnen aller betroffenen Fachgebiete (Psychiatrie, Gynäkologie, Neonatologie) abgestimmt und geplant werden. Besonderer Wert sollte auf eine sorgfältige, schriftlich dokumentierte Aufklärung über alle Behandlungsmöglichkeiten – inklusive der Vor- und Nachteile einer medikamentösen Therapie bzw. der möglichen Komplikationen bei Verzicht – gelegt werden. In jedem Fall sind bipolare Patientinnen in der Schwangerschaft intensiv und hochfrequent zu betreuen. Ein besonderer Fokus liegt dabei auch in der unmittelbar prä- und postnatalen Zeit, wo wöchentliche psychiatrische Kontrollen empfehlenswert sind. Da es während der Schwangerschaftsmonate zu zahlreichen physiologischen Veränderungen kommt, die den Metabolismus stark verändern können, sollten auch regelmäßig Plasmaspiegel bestimmt werden. Dies gilt ganz besonders direkt postpartal, wo es durch rapide metabolische Veränderungen sehr schnell zu erheblichen Spiegelschwankungen kommen kann.

Stillen
Alle Psychopharmaka treten in unterschiedlicher Konzentration in die Muttermilch über und können beim Neugeborenen zu Nebenwirkungen führen, die prinzipiell gleich oder ähnlich wie bei Erwachsenen sind. Stillende Mütter müssen daher besonders genau aufgeklärt werden und sollen auf mögliche Zeichen einer unerwünschten Medikamentenwirkung beim Säugling achten. Lithium erreicht in der Muttermilch etwa 40% der mütterlichen Plasmakonzentration und gilt wegen seiner potenziellen Toxizität als relativ kontraindiziert. Unter Carbamazepin und Valproinsäure wurden Anämien, Thrombopenien und Leberschäden bei Stillkindern berichtet, sodass engmaschige Laborkontrollen auch bei diesen indiziert sind. Atypische Antipsychotika finden sich ebenfalls im Plasma gestillter Kinder, gelten jedoch als vergleichsweise sicher in der Anwendung (Aichhorn , 2005). Clozapin wird jedoch wegen der Agranulozytosegefahr als kontraindiziert angesehen. Für SSRI wurden stark variierende Plasmaspiegel bei Neugeborenen festgestellt, und es gibt Berichte über klinische Symptome bei abruptem Absetzen. Für alle Substanzen gilt das Prinzip der Risiko-Nutzen Abwägung. Diese sollte immer auch schriftlich festgehalten und in regelmäßigen Abständen reevaluiert werden .

zurück

Schreibe einen Kommentar