Erfahrungswissen

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    • Erfahrungswissen

      Hallo,

      als ich heute mal in dieses Forum schaute, da las ich meinen Namen mehrmals in anderen Postings und irgendwie schien es darum zu gehen, aus welcher Perspektive ich schreibe. Keinesfalls geht es mir jetzt in diesem Beitrag darum, mich irgendwie zu positionieren und zu rechtfertigen, aber ich nehme es einfach mal zum Anlaß über meine Erfahrungen zu schreiben. Denn ich bin der Meinung, dass die Perspektive die jemand einnimmt, auch mit seinen eigenen Erfahrungen zusammen hängen, die dann ggf. noch mit anderem Wissen oder vermeintlichem Wissen oder anderen Erfahrungen abgeglichen werden.

      Negative Erfahrungen mit dem psychiatrischen und psychosozialen System

      Die ersten Erfahrungen mit dem System waren eher negativer Natur. Es fing damit an, dass ich einem niedergelassen Neurologen zugewiesen wurde, der nicht gerade in Sachen Empathie bewandert war. Gleiche Augenhöhe war für ihn wohl eher ein Fremdwort. Dann bekam ich einfach eine Liste von Psychotherapeuten in die Hände gedrückt, die ich in meinem depressiven Zustand abtelefonieren sollte, was sich als äußerst kontraproduktiv erwies, da ich Wartezeiten von mindestens einem halben Jahr, oftmals auch bis zu einem Jahr in Kauf nehmen sollte/musste.

      Ich entschied mich für einen Therapeuten in 80 km Entfernung, da es der Einzige war, der ziemlich zeitnah einen Therapieplatz anbieten konnte. Leider war er von sich extrem überzeugt und Empathie war zum zweiten Mal etwas, was ich vermisste. So kam es, dass meine Depression sich verstärkte und dazu meine Suizidgedanken, bis zu jenem Tag, wo ich meine Überdosis an Tabletten schon auf dem Tisch liegen hatte, nebst Wasserglas und ich gerade im Begriff war, von der Welt Abschied zu nehmen.

      Es folgte der 1. Klinikaufenthalt (habe mich freiwillig selbst eingewiesen). Ein wirklich therapeutisches Konzept fehlte gänzlich, gleiche Augenhöhe ebenso Fehlanzeige, eine starke Trennung zwischen Ihr (die Patienten) und wir (die Ärzte/Therapeuten/Pflege) und zudem erlebte ich eine Mini-Variante von "einer flog übers Kuckucksnest", die aber für mich schon ausreichend war, um mit einem zusätzlichen Trauma aus der Klinik zu gehen.

      Fast 9 Jahre verschiedenste Medikamente probiert, die leider bei mir außer Nebenwirkungen keine Wirkung zeigten, dazwischen auch Zeiten ohne Medis. In der gesamten Zeit pendelte ich zwischen leichter, mittelgradiger und schwerer Depression hin und her, eine Zeitspanne ohne Depression kannte ich nicht mehr.


      Positive Erfahrungen mit dem psychiatrischen und psychosozialen System

      Der zweite vollstationäre Klinikaufenthalt in über 100 km Entfernung von meinem Wohnort war eine gänzlich andere Erfahrung. Das therapeutische Konzept war flexibel anpassbar mit reichhaltigen Möglichkeiten. Es wurde versucht eine "normale" Atmosphäre statt Klinikatmosphäre zu schaffen. Auf Mitsprache der Patienten wurde Wert gelegt, die Tür zum Schwestern-/Pflegerzimmer stand immer offen, außer in den Übergabezeiten. Die Bezugsbetreuung nahm ihre Aufgabe ernst und mischte sich "unters Volk", die Klinikentlassung wurde gut vorbereitet, etc. pp. Aber auch dort gab es sicherlich noch einiges zu verbessern, bzw. kam es durchaus auch auf die Personen an. Dennoch zum 1. vollstationären Klinikaufenthalt eine völlig andere Erfahrungswelt, die auf mich und meine Psyche eine positive Wirkung hatte und mir zeigte, dass es auch anders geht und meine Meinung über Psychiatrien dadurch auch differenzierter ausfällt.

      Bei den tagesklinischen Aufenthalten machte ich eine teils-teils-Erfahrung, aber im Großen und Ganzen doch wesentlich positiver als beim 1. vollst. Klnikaufenthalt. Was ich am tagesklinischen Konzept für wesentlich hielt, war die Fokussierung auf die Bewältigung des Alltags und die Abstimmungen im Hier und Jetzt. Man blieb in seiner Umgebung, diesen berühmten Käseglockeneffekt gab es deshalb kaum. Ich habe dort so einiges gelernt und mitgenommen, weil man eigentlich gleich das Gelernte versuchen kann, in seinen Alltag zu integrieren.

      Ambulant fand ich dann auch endlich einen Psychiater, der wirklich nach der Prämisse arbeitete, "Sie sind der Experte in eigener Sache, ihre Erfahrungen sind mir wichtig". Er ist mit mir auch ungewöhnliche Wege gegangen und so kam es auch, dass wir ein Medikament fanden, was mir endlich half, dass ich 1. bisher zumindest keine so tiefen Krisen mehr erlebt hatte und 2. Auch endlich Zeiten gab und gibt, in denen ich mich Depressionslos empfinde und 3. mir ermöglichte eine neue Ausbildung zu durchlaufen und in diesem Bereich eine Tätigkeit aufnehmen konnte.

      Aber natürlich war es nicht nur das Medikament, denn ich hatte ebenso auch einen Therapeuten finden können, der empathisch zuhören kann, jedoch ebenso seine Meinung vertritt und so ein guter Ausgleich da ist und er mich in dieser langen Zeit auch gut begleitet hatte. Über die Therapien in den Kliniken hatte ich ebenso Handwerkszeug an die Hand bekommen und auch einige Einsichten über mich selbst erlangt, die nicht immer nur "schön" waren, sondern mir durchaus auch meine problematische Seite aufzeigten, was ich aber für mich recht wichtig finde, um mich weiterentwickeln zu können, auch wenn dies manchmal mit Wut, Ärger und Trauer verbunden war.

      Erfahrungen in der EX-IN-Ausbildung

      Letztendlich meine ich jedoch, bzw. subjektiv so gefühlt, dass ich für mich einen großen Entwicklungsschritt über die EX-IN-Ausbildung erfahren habe. Denn für mich war es vorher sehr schwer zu akzeptieren, dass ich durch meine chronische Störung beruflich ins Aus katapultiert wurde, obwohl mir eigentlich mein Beruf als Berufung vor kam und mir am Herzen lag. Ich fühlte mich nicht mehr "richtig", nicht mehr zur arbeitenden Gesellschaft dazugehörend und wenn man in Deutschland dann in Hartz IV rutscht, hat man zusätzlich noch ein Stigma mehr zu tragen. Dadurch empfand ich meine Depression nicht nur durch die Symptome belastend, sondern eben auch durch die Begleiterscheinungen.

      In der Ausbildung vollzog sich ein Paradigmenwechsel. Ich konnte plötzlich all die Erfahrungen in den vielen Jahren als ein Erfahrungsschatz ansehen, als ein Wissen, bzw. Erfahrungswissen. Es war nicht mehr länger nur ein Defizit, sondern plötzlich sah ich, dass ich durch diese Erkrankung durchaus auch ein "Mehr" hinzugewonnen hatte. Dieses "Mehr" konnte ich nicht nur für mich selbst nutzen, sondern jetzt auch mit diesem Wissen auch andere unterstützen. Zwar bin ich noch nicht raus aus dem Hartz IV-System aber es tut sich eine neue Möglichkeit auf, die durchaus eine Chance verspricht, irgendwann wieder selbst für mich sorgen zu können. Hinzu kommt, dass ich meine vorherige berufliche Erfahrung in meiner jetzigen Tätigkeit voll integrieren kann ;-).

      Vorläufiges Fazit zum jetzigen Zeitpunkt:

      Sowohl durch meine ganz persönliche Erfahrung mit meinem Störungsbild, wie auch durch den Austausch mit anderen Menschen, durch Teilnahme an Tagungen und Seminaren und nun auch durch meine Erfahrungen in der Arbeit kann ich für mich feststellen:

      • Das psychiatrische System bedarf in ganz großen Teilen noch erheblich an Entwicklung, gerade in Bezug auf "Zwangsmaßnahmen"

      • Ein Umdenken in dem psychiatrischen System ist aber schon erkennbar und es gibt bereits schon gute umgesetzte Reformen

      • Jede Psychiatrie, sogar jede Station kann schon eine andere Philosophie verfolgen, mal mehr Patientenorientiert, mal weniger, mal auch fast gar nicht

      • Es gibt engagierte Psychiater, die gleiche Augenhöhe schätzen und Psychiater, die nur mehr ihr eigenes Ego pflegen, bis hin zu narzisstischen Persönlichkeiten; übrigens, wie in jedem anderen Berufsfeld ebenso zu finden.

      • Medikamente können helfen, aber sind längst nicht alles, um eine psychische Krise zu bewältigen, da bedarf es doch erheblich mehr

      • Ein kritischer Umgang mit Medikamenten ist durchaus angebracht, es sind eben keine Smarties und haben ihre Nebenwirkungen und durchaus möglicherweise Langzeitschäden

      • Weder ein völlig unkritischer Umgang mit Medikamenten, bzw. ein glorifizieren Dieser noch das völlige verteufeln Dieser ist wirklich hilfreich, denn

      • jeder Mensch ist anders, kann eine ganz individuelle Ausprägung der Störung haben, wie auch ganz individuelle Ursachen und hat somit auch einen ganz individuellen persönlichen Genesungsweg vor sich, der eben durchaus Medikamente beinhalten kann, aber nicht muß. Statt ein Entweder-Oder ein Sowohl-Als-Auch.

      • Jeder Mensch hält aber auch ganz eigene Ressourcen bereit, die es zu entdecken gilt

      • Genesung muss nicht "Heilung" im Sinne von gänzlichem Fehlen von Symptomen heißen, sondern kann ebensogut auch heißen, seinen eigenen Weg zu finden, um mit einem Handicap mit großtmöglicher Lebensqualität am gesellschaftlichen Leben selbstbestimmt und selbstverantwortlich teilhaben zu können.


      Sicherlich habe ich noch einiges vergessen, ist mein Fazit und meine Erfahrungsschilderung nicht vollständig, aber es ist schon lang genug und für viele, vielleicht deshalb auch schon schwierig zu lesen.

      Viele Grüße Heike

      .
      Recovery beinhaltet eine Wandlung des Selbst, bei der einerseits die eigenen Grenzen akzeptiert werden und andererseits eine ganze Welt voller neuer Möglichkeiten entdeckt wird. Dies ist das Paradoxe an Recovery: Beim Akzeptieren dessen, was wir nicht tun oder sein können, beginnen wir zu entdecken, wer wir sein können und was wir tun können (Patricia Deegan 1996).
    • Schöner Erfahrungsbericht, Heike!

      Natürlich prägen die gemachten Erfahrungen die Perspektive, was auch sonst? Du hast es besser erwischt als ich. Man sagt zwar, wo Licht ist, ist auch Schatten, bei mir war es von A - Z leider nur Finsternis. Seit 8 Jahren habe ich daher keinen Kontakt mehr mit der Psychobranche gehabt und daran wir sich auch nichts mehr aendern. Ich will die Erfahrungen hier nicht mehr breit treten, weil ich froh bin, die daraus resultierenden Traumata einigermassen verarbeitet zu haben.

      Dass aber überhaupt eine Traumatisierung durch die psychiatrische Behandlung/Unterbringung erfolgt ist, war das komplette Gegenteil dessen, was ich mir davon erhofft hatte. Wer legt schon die Hand weiterhin auf die Herdplatte, wenn er weiss, dass er sich verbrennt?

      Es wäre einmal interessant, eine statistischen Summe zu finden, ob die Psychiatrie für die Betroffenen eher nützlich oder schädlich war, daraus könnte man dann auch ableiten, ob es sinnvoll wäre, sie aus dem medizinischen Versorgungssystem zu eliminieren, was zu einer spürbaren Entlastung des Gesundheitswesens fuhren würde.
    • Hallo Jannis,

      ich kann durchaus nachvollziehen, wenn jemand durchgehend negative Erfahrungen gemacht hat, dass er diesem System nicht nur den Rücken kehrt, sondern diesem auch nichts mehr zutraut. Es erscheint ja auch ziemlich paradox, dass eigentlich eine Institution für die Genesung des seelischen Befindens, selbst zum seelischen Ungleichgewicht und schlimmer noch, zu einem Trauma verhilft.

      Aber ich denke, es ist einfach zu kurz gedacht, Alle und Alles über einen Kamm zu scheren und nicht auch die andere Seite zu sehen. Wie in allen anderen Gesundheitsbereichen, zumindest in Deutschland, wird gespart, gerade an Personal. Das bedeutet, sowohl weniger Personal für mehr Patienten/Klienten, wie auch weniger qualifiziertes Personal. Ein hoher bürokratischer Aufwand durch das Qualitätsmanagement, welches sich fast nie auf das Endprodukt oder auf die Entdienstleistung bezieht. Ständige Änderungen gesetzliche Vorschriften, das Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft, etc. pp. tuen ihr übriges.

      Auch das ist eine Erfahrung, die ich durch meine jetzige Arbeit erlangen konnte. Das Aufreiben Einiger für wenig Geld, aber auf kosten der eigenen Gesundheit, weil überall gespart wird, welches wiederum auch zu Lasten der Klienten und ihrer Bedürfnisse und ihrer Gesundheit geht.

      Es ist nicht einfach DAS psychiatrische System, welches an den Mängeln beteiligt ist, sondern es unterliegt auch vielen Sachzwängen, wo der Einzelne Mensch, der helfen möchte, nicht einfach dran vorbei kann.

      Trotz alle dem, gibt es aber überall, ich sage mal einfach kleine Inseln, die versuchen ein anderes Denken und eine andere Haltung zu etablieren. Ich war erstaunt, wieviele auch gerade vormals eher dem biologistischem Psychiatriebild anhängende Ärzte, Therapeuten etc., die Sackgasse aus eigener beruflicher Erfahrung erkannten und nun ein Umdenken einsetzt, was zwar nicht die biologischen Kriterien völlig verneint, aber eben diese nicht mehr so als zentralen Mittelpunkt ansieht und andere Einflußfaktoren wenn nicht sogar gleichwertig anerkennt und für sie daraus ein anderes Umgehen damit entscheident ist.

      Viele Grüße Heike
      Recovery beinhaltet eine Wandlung des Selbst, bei der einerseits die eigenen Grenzen akzeptiert werden und andererseits eine ganze Welt voller neuer Möglichkeiten entdeckt wird. Dies ist das Paradoxe an Recovery: Beim Akzeptieren dessen, was wir nicht tun oder sein können, beginnen wir zu entdecken, wer wir sein können und was wir tun können (Patricia Deegan 1996).
    • Weisst Du, liebe Heike, überall wird validiert, warum nicht auch in der Psychiatrie? Wenn das Kosten-/Nutzenverhaeltnis so aussähe, das sie ueberwiegend schädlich ist, sollten diese Kosten innerhalb des medizinischen Systems doch besser da eingesetzt werden, wo es bitter Not tut. Vulgo: Lieber eine neue Hüfte für die Oma, als braesiges Geschwätz eines Psycho-Futzis. Ich weiss, dass ich aufgrund meiner Erfahrungen negativ voreingenommen bin, das ist ja gerade der Grund, weshalb mir so an einer Objektivierung liegt.
    • Heike schrieb:

      Trotz alle dem, gibt es aber überall, ich sage mal einfach kleine Inseln, die versuchen ein anderes Denken und eine andere Haltung zu etablieren.
      Hallo Heike,

      danke für Deinen Bericht, Du hast es ziemlich gut auf den Punkt
      gebracht, auch werden viele Betroffene Parallelen zu ihrem
      eigenen "Weg" erkennen.

      Ich halte es für sehr wichtig, in der eigenen "Geschichte" eine
      Entwicklung sehen zu können, ansonsten entsteht schnell die
      Illusion, sich in einer Endlosschleife zu befinden.

      Unempathen habe ich leider auch häufiger getroffen, allerdings
      gehörten die zur älteren, etablierten Ärzteschaft. Oft hatte ich
      bei diesen Leuten den Eindruck, dass Kostendruck und persön-
      liche Einstellung wichtiger als das Wohl des Patienten waren.

      2008 sagte sinngemäß unsere Stationsoberärztin (jetzt Chefärztin)
      folgendes zu uns: "Noch vor wenigen Jahren haben wir chronische
      Psychotiker als relativ psychotherapieunfähig betrachtet und über-
      wiegend nur Antipsychotika eingesetzt. Bildgebende Verfahren aber
      zeigen, dass auch diese Patienten auf PT ansprechen". Es tut sich was,
      auch das macht Hoffnung.

      LG, wendelin
    • Jannis schrieb:

      Weisst Du, liebe Heike, überall wird validiert, warum nicht auch in der Psychiatrie? Wenn das Kosten-/Nutzenverhaeltnis so aussähe, das sie ueberwiegend schädlich ist, sollten diese Kosten innerhalb des medizinischen Systems doch besser da eingesetzt werden, wo es bitter Not tut. Vulgo: Lieber eine neue Hüfte für die Oma, als braesiges Geschwätz eines Psycho-Futzis. Ich weiss, dass ich aufgrund meiner Erfahrungen negativ voreingenommen bin, das ist ja gerade der Grund, weshalb mir so an einer Objektivierung liegt.


      Hallo Jannis,

      es ist ein Irrtum zu glauben, dass man die psychischen Störungen in der Gesundheitsversorgung ignorieren kann, denn frühere und auch aktuelle Studien zeigen, dass Psychiatriebetten und Gefängnisbetten miteinander korrelieren. Je weniger Psychiatriebetten, umso mehr Gefängnisbetten sind belegt und umgekehrt. Wobei damit nicht gesagt sein soll, dass es mehr Psychiatriebetten geben muß, sondern, dass es eine Versorgung der Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen braucht, die durchaus auch im Homtreadmentverfahren verlaufen kann und ebenso in vielen Fällen wirksam ist.

      Viele Grüße Heike
      Recovery beinhaltet eine Wandlung des Selbst, bei der einerseits die eigenen Grenzen akzeptiert werden und andererseits eine ganze Welt voller neuer Möglichkeiten entdeckt wird. Dies ist das Paradoxe an Recovery: Beim Akzeptieren dessen, was wir nicht tun oder sein können, beginnen wir zu entdecken, wer wir sein können und was wir tun können (Patricia Deegan 1996).

    • 2008 sagte sinngemäß unsere Stationsoberärztin (jetzt Chefärztin)
      folgendes zu uns: "Noch vor wenigen Jahren haben wir chronische
      Psychotiker als relativ psychotherapieunfähig betrachtet und über-
      wiegend nur Antipsychotika eingesetzt. Bildgebende Verfahren aber
      zeigen, dass auch diese Patienten auf PT ansprechen". Es tut sich was,
      auch das macht Hoffnung.


      Hallo Wendelin,

      nicht nur dies ändert sich. Früher betrachtete man die psychotischen Aussagen als irrelevant, nur als ein Krankheitssymptom, welches zu eleminieren galt. Demgegenüber stand aber immer schon ein Bedürfnis der Psychose-Erfahrenen, ihre Psychose zu verstehen, dem ganzen einen Sinn zu geben. Neuere Untersuchungen und Studien ergaben, dass Psychoseinhalte absolut nicht irrelevant sind, sondern für die Psychotherapie durchaus nützlich, da die Inhalte einen realen Zusammenhang haben, die jedoch nicht auf der rationalen Ebene ausgesprochen werden kann, sondern auf der Symbol-Ebene.

      Im Westlappland-Projekt wurde konsequent mit den Psychoseinhalten gearbeitet, dafür aber ein sehr zurückhaltender Einsatz von Neuroleptiker (teils sogar völlig Neuroleptikafrei), mit dem Ergebnis, dass diese Menschen nach einiger Zeit wieder ins Berufsleben oder Studium zurückkehren konnten, während die ander Gruppe, die nach Leitlinienstandard mit Fokussierung auf Neuroleptika, mehrheitlich verrentet wurde.

      Viele Grüße Heike
      Recovery beinhaltet eine Wandlung des Selbst, bei der einerseits die eigenen Grenzen akzeptiert werden und andererseits eine ganze Welt voller neuer Möglichkeiten entdeckt wird. Dies ist das Paradoxe an Recovery: Beim Akzeptieren dessen, was wir nicht tun oder sein können, beginnen wir zu entdecken, wer wir sein können und was wir tun können (Patricia Deegan 1996).
    • Heike schrieb:

      Neuere Untersuchungen und Studien ergaben, dass Psychoseinhalte absolut nicht irrelevant sind, sondern für die Psychotherapie durchaus nützlich, da die Inhalte einen realen Zusammenhang haben, die jedoch nicht auf der rationalen Ebene ausgesprochen werden kann, sondern auf der Symbol-Ebene.
      Hallo Heike,

      dem kann ich nur zustimmen, bis auf angstinduzierten "Wahn" möchte
      ich keine "Erfahrung" missen, das hat mich weiter gebracht, allerdings
      am Anfang nur im Schneckentempo. Aber selbst Ängste haben für mich
      einen Sinn und sei es nur, um entsprechende Auslöser und Situationen
      meiden zu lernen. Allerdings muß ich auch zugeben, dass ich weder
      Zwangsverfahren noch persönlichen Ruin etc. erlebt habe.

      Rückblickend glaube ich, dass die akuten Ausbrüche der Störung mich
      mir selbst näher gebracht haben, mein Umgang damit hat sich verändert.
      Tiefe Depris erlebe ich nur noch kurzzeitig, danach greifen die erlernten
      "Skills and Tools". :) Manches davon bewegt sich auf einer ähnlich bild-
      haften Ebene, greift also "direkt vor Ort". :)

      Es bleibt spannend ...
      LGW