Hi,
am Freitag, den 4. Dezember sendete der Deutschlandfunk (DLF) in seinem Abendprogramm ein Feature, das insbesondere die Künstler/innen unter uns interessieren dürfte, denn das Thema war bzw. ist: Wahnsinn! Kunst und Leben mit bipolarer Störung.
Die Redaktion kündigte die Sendung mit folgendem Text an:
Wahnsinn! Kunst und Leben mit bipolarer Störung
Im DGBS-Forum haben neben dem DGBS Betroffenenvertreter Martin Kolbe zwei weitere Nutzerinnen die Sendung ohne jede Begründung äußerst positiv beurteilt [DGBS-Forum über DLF-Feature 'Kunst und Bipolarität']. Ich bin anderer Meinung, und zwar aus (wenigstens) drei Gründen:
Erstens und vor allem finde ich das Format 'Feature' dem Thema nicht angemessen. Schlagwortartig: statt Aufklärung wird Infotainment geliefert.
Zweitens werden 'die' Depressionen und ihre destruktiven Konsequenzen für jede schöpferische Tätigkeit kaum auch nur in Betracht gezogen. Ausnahme: die unter dem Pseudonym 'Gertrude' zu Wort kommende Bildende Künstlerin. Sie skizziert eine - wie ich finde - hochinteressante, starke These, derzufolge 'die' Manie als Quelle schöpferischer Arbeit zu adeln blanke Ideologie sei (sinngemäß: "Das geht mir tierisch auf den Geist."), im depressiven Zustand hingegen un- und/oder vorbewusst Kreatives angebahnt werde, was freilich nur durch einen Formwillen, Talent, vor allem jedoch vorausgegangen Jahre harter Arbeit zur Aneignung und Ausbildung künstlerischer Fähigkeiten, ohne die selbst brilliante Ideen nicht zur ästhetischen Realisierung kommen. Das leuchtet mir wenigstens vollkommen ein.
Drittens: Die beiden bipolaren Männer (Journalist/Schriftsteller der eine, Musiker der andere) hinterlassen aus meiner Sicht mal wieder den Eindruck, dass ihre Einstellung zu Manie und Depression durch und durch narzisstisch grundiert ist. Wenn jemand sich nicht anders mit 'unserer Krankheit' arrangieren kann als eben dadurch, die Selbstliebe zum Zentrum des Universums zu machen-, wer bin ich, darüber den Stab brechen zu wollen.
Das führt auf die unter den vier Protagonisten unterschiedlich aufgenommene Frage, ob und inwieweit die bipolaren Störung(en) im strikten Sinne als seelische Krankheit oder eher als ausgeprägte Persönlichkeitsmerkmale zu verstehen sind. Diese Kontroversen wurde bzw. wird ja auch in diesem Form immer wieder durchdekliniert. Da in meinem Falle die genetischen Prädispositionen sowohl in der mütterlichen als auch in der väterlichen Familienlinie über Generationen hinweg nachzuweisen sind, bin ich geneigt, die manisch-depressiven Symptomatiken psychopathologisch zu begreifen. Der Gegenzug liegt freilich auf der Hand: Was als "Vererbung mieser Gene"* begriffen wird, könnte ja in Wahrheit eine stetige Wiederholung ungesunder Erziehungspraktiken, schlechter Ernährung et patati et patata sein, womit wir dann glorreich bei der Frage landen, ob der Henne oder dem Ei der Vorrang gebührt. Was hängt eigentlich lebenspraktisch von dieser Alternative ab? Bewältige ich mein Leben relevant anders, je nachdem ob ich der einen oder anderen Auffassung zuneige? Vorderhand vermag ich diese Differenz nicht zu erkennen.
Trotz meiner Einwände empfehle ich nachdrücklich, das Feature anzuhören und euch ein eigenes Urteil zu bilden. Es würde mich sehr, sehr interessieren, wie ihr darüber denkt.
Gruß
Laci
am Freitag, den 4. Dezember sendete der Deutschlandfunk (DLF) in seinem Abendprogramm ein Feature, das insbesondere die Künstler/innen unter uns interessieren dürfte, denn das Thema war bzw. ist: Wahnsinn! Kunst und Leben mit bipolarer Störung.
Die Redaktion kündigte die Sendung mit folgendem Text an:
Als audio on demand ist das Feature bis 11. Juni 2016 - 21:10 Uhr verfügbar, und zwar hier:Redaktion DLF-Feature schrieb:
Das Feature
Wahnsinn!
Kunst und Leben mit bipolarer Störung
Von Sascha Verlan und Almut Schnerring
Produktion: DLF 2015
Kaum feierte er seine ersten Erfolge, war der Rapper Flowin Immo aus der Szene schon wieder verschwunden. - Psychische Probleme. Wenngleich er mit 27 Jahren als Shootingstar der deutschen Theaterszene galt, musste Sebastian Schlösser auf seinen attraktiven Posten als Regisseur am Hamburger Schauspielhaus verzichten. - Seine Nerven. Obwohl Naema Gabriel gerne Künstlerin geworden wäre, hielt sie das schlechte Vorbild ihrer Mutter davon ab, diesen Lebensweg einzuschlagen. Zu groß die Angst, wie sie an einer bipolaren Störung zu erkranken. Und die bildende Künstlerin Gertrude ist zwar bereit, über ihre 'bipolare Begabung' zu sprechen, da ihr aber schon zu viele Künstler mit ihrer psychiatrischen Diagnose Werbung machen, möchte sie in dieser Sendung anonym bleiben. Tatsächlich: Weit verbreitet ist der Eindruck, ein bisschen Wahnsinn fördere die Kreativität; sei vielleicht gar die Voraussetzung für ein künstlerisches Leben. Doch die Biografien derjenigen, die hier aus ihrem Leben erzählen, unterscheiden sich. So beschließt Schlösser, sich von der Kunst abzuwenden, weil ihm der Preis für das Leben am Theater am Ende doch zu hoch erscheint. Heute nimmt er Medikamente und führt ein bürgerliches Leben als Jurist. Flowin Immo hingegen lebt alle Phasen seiner Krankheit in vollen Zügen aus und ist dadurch als Rapper nur umso produktiver.
Kunst und Leben mit bipolarer Störung
Wahnsinn! Kunst und Leben mit bipolarer Störung
Im DGBS-Forum haben neben dem DGBS Betroffenenvertreter Martin Kolbe zwei weitere Nutzerinnen die Sendung ohne jede Begründung äußerst positiv beurteilt [DGBS-Forum über DLF-Feature 'Kunst und Bipolarität']. Ich bin anderer Meinung, und zwar aus (wenigstens) drei Gründen:
Erstens und vor allem finde ich das Format 'Feature' dem Thema nicht angemessen. Schlagwortartig: statt Aufklärung wird Infotainment geliefert.
Zweitens werden 'die' Depressionen und ihre destruktiven Konsequenzen für jede schöpferische Tätigkeit kaum auch nur in Betracht gezogen. Ausnahme: die unter dem Pseudonym 'Gertrude' zu Wort kommende Bildende Künstlerin. Sie skizziert eine - wie ich finde - hochinteressante, starke These, derzufolge 'die' Manie als Quelle schöpferischer Arbeit zu adeln blanke Ideologie sei (sinngemäß: "Das geht mir tierisch auf den Geist."), im depressiven Zustand hingegen un- und/oder vorbewusst Kreatives angebahnt werde, was freilich nur durch einen Formwillen, Talent, vor allem jedoch vorausgegangen Jahre harter Arbeit zur Aneignung und Ausbildung künstlerischer Fähigkeiten, ohne die selbst brilliante Ideen nicht zur ästhetischen Realisierung kommen. Das leuchtet mir wenigstens vollkommen ein.
Drittens: Die beiden bipolaren Männer (Journalist/Schriftsteller der eine, Musiker der andere) hinterlassen aus meiner Sicht mal wieder den Eindruck, dass ihre Einstellung zu Manie und Depression durch und durch narzisstisch grundiert ist. Wenn jemand sich nicht anders mit 'unserer Krankheit' arrangieren kann als eben dadurch, die Selbstliebe zum Zentrum des Universums zu machen-, wer bin ich, darüber den Stab brechen zu wollen.
Das führt auf die unter den vier Protagonisten unterschiedlich aufgenommene Frage, ob und inwieweit die bipolaren Störung(en) im strikten Sinne als seelische Krankheit oder eher als ausgeprägte Persönlichkeitsmerkmale zu verstehen sind. Diese Kontroversen wurde bzw. wird ja auch in diesem Form immer wieder durchdekliniert. Da in meinem Falle die genetischen Prädispositionen sowohl in der mütterlichen als auch in der väterlichen Familienlinie über Generationen hinweg nachzuweisen sind, bin ich geneigt, die manisch-depressiven Symptomatiken psychopathologisch zu begreifen. Der Gegenzug liegt freilich auf der Hand: Was als "Vererbung mieser Gene"* begriffen wird, könnte ja in Wahrheit eine stetige Wiederholung ungesunder Erziehungspraktiken, schlechter Ernährung et patati et patata sein, womit wir dann glorreich bei der Frage landen, ob der Henne oder dem Ei der Vorrang gebührt. Was hängt eigentlich lebenspraktisch von dieser Alternative ab? Bewältige ich mein Leben relevant anders, je nachdem ob ich der einen oder anderen Auffassung zuneige? Vorderhand vermag ich diese Differenz nicht zu erkennen.
Trotz meiner Einwände empfehle ich nachdrücklich, das Feature anzuhören und euch ein eigenes Urteil zu bilden. Es würde mich sehr, sehr interessieren, wie ihr darüber denkt.
Gruß
Laci
"Tief im Herzen haß ich den Troß der Despoten und Pfaffen, Aber noch mehr das Genie, macht es gemein sich damit." (Hölderlin)
"Nun müssen diejenigen, welche ihre Gedanken untereinander austauschen wollen, etwas voneinander verstehen; denn wie könnte denn, wenn dies nicht stattfindet, ein gegenseitiger Gedankenaustausch möglich sein?" (Aristoteles)
"Nun müssen diejenigen, welche ihre Gedanken untereinander austauschen wollen, etwas voneinander verstehen; denn wie könnte denn, wenn dies nicht stattfindet, ein gegenseitiger Gedankenaustausch möglich sein?" (Aristoteles)
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