Psychoedukation für Bipolare Erkrankungen

Unter Psychoedukation versteht man didaktische Interventionen, die den Patienten und seine Angehörigen über die Krankheit und die Behandlungsmöglichkeiten informieren, das Krankheitsverständnis fördern und bei der Krankheitsbewältigung helfen. Alle klinisch geprüften Formen der Psychotherapie bei bipolarer Erkrankung bedienen sich der Grundelemente der Psychoedukation als Fundament und Ausgangspunkt. Umgekehrt inkludieren zahlreiche Psychoedukationsverfahren nach dem Initialstadium eine Stabilisierungs- und Erhaltungsphase mit psychotherapeutisch orientierten Interventionen. Psychoedukation wird meist in Gruppen mit etwa 8 bis 12 Teilnehmern angeboten und umfasst in der Regel 6 bis 12 Sitzungen zu 1 bis 2 Stunden. Es gibt verschiedene vorgefertigte, strukturierte Manuale, die auch Unterlagen für die Gruppenteilnehmer und Anleitungen für den Gruppenleiter beinhalten

Die Betreuung bipolarer Patienten sollte ausschließlich durch Personen erfolgen, die den notwendigen theoretischen und klinischen Erfahrungshintergrund besitzen.

Ziele und charakteristische Inhalte der Psychoedukation

Information und Biopsychosoziales Krankheitsmodell

Nach der Vermittlung eines Grundwissens über die Symptome von Manie und Depression, Verlaufstypen und klinischen Charakteristika sowie der Klärung von Fachbegriffen, werden biologische, psychische und soziale Ursachen erläutert und in ein gemeinsames Erklärungsmodell für bipolare Erkrankungen integriert. Es ist besonders wichtig, dabei den Einfluss von Umweltfaktoren nicht zu verneinen, gleichzeitig jedoch auch auf die patientenbezogenen Faktoren zu fokussieren. Gerade in der frühen Erkrankungsphase werden Manie und Depression subjektiv häufig als rein durch Umweltfaktoren ausgelöst empfunden. Daher wird oft auch keine Therapienotwendigkeit gesehen. Es ist wichtig, den Betroffenen die Konsequenzen eines Verzichts auf Therapie und natürlichen Erkrankungsverlauf zu vermitteln.

Stimmungskalender („Mood Charting“)

Die Darstellung des Phasenverlaufs durch den Patienten hilft nicht nur bei der Diagnosestellung oder der Identifizierung von Prodromalsymptomen, sie kann per se den Patienten auch Stabilität und ein Gefühl der Kontrolle geben. Stimmungskalender sind ein wichtiger und zentraler Bestandteil fast aller Psychoedukationsverfahren. Eine einfache Methode hierfür stellt eine visuelle analog Skala (VAS) da: Der Patient markiert auf einer 100-mm Linie, deren beiden Enden jeweils die Extreme der Befindlichkeit darstellen, die aktuelle Stimmung oder verschiedene andere Aspekte der Erkrankung. Die retrospektive Life Chart Methode (LCM-r) und die prospektive Life Chart Methode des NIMH (LCM-p) sind weitere Möglichkeiten des „mood charting“, die sich in den Meßabständen unterscheiden (LCM-r monatlich, LCM-p täglich). Die Social Rhythm metric –Skala (SRM) legt ihren Schwerpunkt auf soziale und zirkadiane Rhythmen.

Therapiemöglichkeiten und Medikation

Alle Betroffenen sollten überblicksmäßig über die Prinzipien der medikamentösen Therapie (Basistherapie, Anpassung des Therapieschemas bei Auftreten neuer Phasen, einzelne Substanzgruppen und ihr Einsatzgebiet) aufgeklärt werden. Die Vorteile und Nachteile der medikamentösen Therapie, Nebenwirkungen und mögliche Gegenmaßnahmen werden dargestellt. Bei individuellen Kontrollterminen sollte dann wiederholt über den Umgang mit der aktuell verordneten Medikation aufgeklärt und die wichtigsten Informationen wenn möglich auch in schriftlicher Form mitgegeben werden.

Therapieadhärenz

Chronische Erkrankungen sind allgemein gekennzeichnet durch eine hohe Rate von Non-Adhärenz. Untersuchungen an bipolaren Patienten zeigten, daß in etwa der Hälfte aller Fälle die verordnete Medikation nicht oder nicht regelmäßig eingenommen wird. Während Ärzte am häufigsten vermuten, daß der Grund für das Absetzen in mangelnder Krankheitseinsicht oder der Sehnsucht nach einer Manie liegt, geben Betroffene oft andere Ursachen an.
Für Lithium-Patienten besteht beispielsweise am häufigsten ein Unwohlsein mit dem Gedanken, daß Medikamente die „Gefühle kontrollieren“. Als zweitwichtigster Faktor werden depressive Symptome unter laufender Therapie angegeben. Aber auch Probleme, die chronische Erkrankung zu akzeptieren – insbesondere Scham und Stigmatisierung – werden oft genannt. 42,43 Diese Problemfelder sollten direkt angesprochen werden und primäre Ziele in Psychotherapie und –edukation sein. In jenen Fällen, wo eine große Sehnsucht nach manischen Zuständen besteht, bewährt es sich, den kausalen Zusammenhang zwischen Manie und Depression auch bildhaft darzustellen. Manche Psychoedukationsmethoden benutzen dazu den Vergleich: „Die Manie ist das Feuer der bipolaren Erkrankung, die Depression die Asche“ andere vergleichen die Manie mit einem „Leben auf Kreditkarte: Die Rechnung kommt später (Depression)
Interessant ist, dass bei Betroffenen Sorgen zur Attraktivität für Partner hoch rangieren, von Ärzten jedoch selten wahrgenommen werden. Besonders wichtig scheint hier das gezielte Thematisieren und ein aktives Management von potenziell störenden medikamentösen Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme und sexueller Dysfunktion.

Belastung und Copingstrategien

Streß- und Belastungsfaktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit für Rezidive. In einem ersten Schritt werden typischen Streßsituation besprochen, danach auch individuelle Stressoren identifiziert. Schließlich werden der mögliche Umgang mit Belastung , entlastende Faktoren und Techniken zur Stressbewältigung (Entspannungstechniken, Tagesstrukturierung zur Stabilisierung zirkadianer Rhythmen, Regenerationszeiten, Genusstraining, soziales Netzwerk etc.) vermittelt.

Frühwarnzeichen und Rückfallprophylaxe

Mit Hilfe von Checklisten wird eine Liste typischer und individueller Frühwarnzeichen erstellt.
Im nächsten Schritt werden mögliche Strategien besprochen , die für den Fall eines inzipienten Rezidivs in Betracht kommen.
So können bei ersten depressiven Symptomen eine ausgeglichene Tagesstrukturierung und Techniken zur Entspannung dienlich sein, bei beginnenden manischen Symptomen eine Stabilisierung des Schlaf-Wach-Rhythmus.

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