2009 – Newsletter 2

Moegliche Rolle von Gefaessentzuendungen bei bipolaren Erkrankungen und Schizophrenie

Quelle: Hope S, Melle I, Aukrust P, Steen NE, Birkenaes AB, Lorentzen S, Agartz I, Ueland T, Andreassen OA. Similar immune profile in bipolar disorder and schizophrenia: selective increase in soluble tumor necrosis factor receptor I and von Willebrand factor. Bipolar Disord 2009: 11: 726–734.

Dass immunologische, entzuendliche Veraenderungen bei schizophrenen Erkrankungen und (unipolaren) Depression recht haeufig auftreten und wohl in noch unzureichend verstandenem Zusammenhang mit der Entstehung der Krankheiten stehen, ist schon laenger bekannt. Eine Untersuchung an 344 schizophrenen und bioplaren Patienten sowie 244 gesunden Kontrollen untersuchte nun viele verschiedene Entzuendungsparameter um einen genaueren Einblick zu bekommen. Dabei zeigte sich, dass bei schizophrenen und bipolaren Patienten im Vergleich zu Gesunden zwei Werte erhoeht waren, die beide eine Rolle im Endothel (der „Innenauskleidung von Blutgefaessen) spielen

1. Von Willebrand Faktor (http://de.wikipedia.org/wiki/Von-Willebrand-Faktor) und

2. Tumornekosefaktor-Rezeptor (http://de.wikipedia.org/wiki/TNF/TNFR-Superfamilie)

Diese Ergebnisse weisen auf eine moegliche immunbedingte Gefaessreaktion hin, die bei bipolaren und schizophrenen Erkrankungen aufzutreten scheint. Sie ist nicht abhaengig von anderen Faktoren wie zB Medikation etc. Interessant ist dies auch im Hinblick auf die Ergebnisse vieler anderer Studien, die immer wieder auf ein hohes Risiko fuer bipolare Patienten, zusaetzlich an Gefaesskrankheiten zu erkranken hinweisen.

Vergroesserung des „Kleinhirnwurms“ bei bipolaren maennlichen Patienten

Quelle: Womer FY, Wang F, Chepenik LG, Kalmar JH, Spencer L, Edmiston E, Pittman BP, Constable RT, Papademetris X, Blumberg HP. Sexually dimorphic features of vermis morphology in bipolar disorder. Bipolar Disord 2009:

Das Kleinhirn ist eine Region, in der unter anderem Bewegungen und Gleichgewicht koordiniert werden. Darueberhinaus scheint es aber auch komplexe Aufgaben in der Steuerung anderer Prozesse zu uebernehmen, unter anderem auch fuer das glatte ablaufen von Lernleistungen. Einige Menschen, die im Bereich des sogenannten „Kleinhirnwurms“ verletzt wurden, entwickelten auch Stoerungen der Gefuehle, zB manische Symptome. Eine Untersuchung fand nun, dass genau diese Region im Schnitt bei bipolaren maennlichen, nicht aber weiblichen, Patient/innen vergroessert ist. Bisher war das Kleinhirn nicht unbedingt ein „Hauptkandidat“, wenn nach Hirnveraenderungen bei Gefuehlsstoerungen gesucht wurde. Es haeufen sich jedoch Hinweise fuer eine Rolle auch in diesem Bereich. Ausserdem ist interessant, dass es auch Geschlechtseinfluesse zu geben scheint, und „bipolar“ bei Maennern nicht unbedingt gebau das gleiche sein muss, wie „bipolar“ bei Frauen.

„Lupus erythematodes“ kann Symptome einer bipolaren Erkrankung vortaeuschen

Quelle: Psychosomatics. 2009 Sep-Oct;50(5):543-7.Neuropsychiatric systemic lupus erythematosus presenting as bipolar I disorder with catatonic features. Alao AO, Chlebowski S, Chung C.Department of Psychiatry, SUNY Upstate, NY 13210, USA. alaoa@upstate.edu

Sydtemischer Lupus erythematodes (SLE) ist eine Autoimmunerkrankung, die sich an der Haut, aber auch an inneren Organgen und an Nerven (inklusive zentrales Nervensystem) aeussern kann (http://de.wikipedia.org/wiki/Lupus_erythematodes). Manchmal stehen psychiatrische Symptome im Vordergrund (ganz besonders bei Kindern/Jugendlichen und mehr bei Frauen als Maennern) – in dem oben erwaehnten Beitrag wird der Fall einer jungen Frau beschrieben, die Jahre als „Bipolar“ behandelt wurde, bevor dann typischere SLE-Symptome auftraten. Als dann eine SLE-spezifische Therapie begonnen wurde, bildeten sich auch die „bipolaren“ Symptome zurueck. Kommentar: Dieser Fall zeigt eindringlich, wie wichtig eine genaue koerperliche Untersuchung zum Ausschluss anderer Erkrankungen ist, bevor die Diagnose „Bipolar“ gestellt wird.

Psychoedukation: Bessere Effekte, wenn sehr frueh nach der Erstdiagnose begonnen wird

Quelle: J Affect Disord. 2009 Oct 22. [Epub ahead of print] The impact of staging bipolar disorder on treatment outcome of family psychoeducation. Reinares M, Colom F, Rosa AR, Bonnín CM, Franco C, Solé B, Kapczinski F, Vieta E.

Eigentlich fast ein selbstverstaendliches Ergebnis, dennoch bisher nicht gut untersucht: Psychoedukation, also Aufklaerung ueber die Erkrankungen und Behandlungsmoeglichkeiten, ueber den moeglichst guenstigen Umgang mit Symptomen und Moeglichkeiten, trotz Erkrankung ein stabiles Leben zu fuehren – verbessert allgemein die Prognose und sollte zu jeder Therapie gehoeren. Allerdings scheint sie nach den Ergebnissen der oben genannten Studie bessere Effekte zu haben, wenn moeglichst frueh nach der Erstdiagnose damit begonnen wird – nach vielen Phasen, die davor bereits durchgemacht wurden, waren die positiven Effekte fuer den Verlauf deutlich geringer. Kommentar: Umso wichtiger erscheint die Forderung , dass entsprechende Psychoedukation flaechendeckend angeboten werden kann und auch finanziert wird, damit ein moeglichst frueher Zugang gesichert ist.

Sind bipolare Patienten “uebersensibel” auch in “neutralen” Situationen?

Quelle: Encephale. 2009 Oct;35(5):484-90. Epub 2009 Mar 6.[Emotional reactivity in euthymic bipolar M’bailara K, Chevrier F, Dutertre T, Demotes-Mainard J, Swendsen J, Henry C. Département de psychiatrie adulte, CHS Charles-Perrens, 33076 Bordeaux, France; EA 4139, laboratoire de psychologie, université Bordeaux-II, 3 ter, place de la Victoire, 33076 Bordeaux, France; Fondation FondaMental, 94000 Créteil, France.  

http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19853723?itool=EntrezSystem2.PEntrez.Pubmed.Pub med_ResultsPanel.Pubmed_RVDocSum&ordinalpos=33 Die emotionale Schwingungsfaehigkeit, also die Gefuehlsreaktion auf verschiedene Stimuli und Situationen gehoert zu den grundlegenden menschlichen Faehigkeiten und ist Grundlage fuer Mitgefuehl und das funktionieren sozialer Gefuege. Dabei ist es wichtig, den „ Gefuehlsgehalt“ eines Stimulus richtig abschaetzen zu koennen – zB ein trauriges Gesicht richtig als traurig zu erkennen, oder Wut richtig als Wut zu identifizieren. Frueher ging man davon aus, dass bei bipolaren Patienten diese Faehigkeiten in depressiven Phasen und manischen Phasen behindert sind, dazwischen aber normal funktionieren. Es haeufen sich jedoch Hinweise, dass selbst in diesen Zwischenphasen oft solche Stimuli nicht immer richtig eingestuft werden. In der obigen Untersuchung zeigte sich, dass auf ganz neutrale Situationen oft uebersensibel reagiert wurde – also eine „emotionale Hyperreaktivitaet“ bestand. Dies koennte zu Fehleinschaetzungen und Kommunikationsproblemen mit der Umwelt fuehren und letztlich auch zur Ausloesung neuer Phasen beitragen.

Uhrwerkgene: spielen sie eine Rolle fuer bipolare Erkrankungen?

Quelle: Mansour HA, Talkowski ME, Wood J, Chowdari KV, McClain L,Prasad K, Montrose D, Fagiolini A, Friedman ES, Allen MH, Bowden, CL, Calabrese J, El-Mallakh RS, Escamilla M, Faraone SV, Fossey MD, Gyulai L, Loftis JM, Hauser P, Ketter TA, Marangell LB, Miklowitz ,DJ, Nierenberg AA, Patel J, Sachs GS, Sklar P, Smoller JW, Laird N,,Keshavan M, Thase ME, Axelson D, Birmaher B, Lewis D, Monk T, Frank E, Kupfer DJ, Devlin B, Nimgaonkar VL. Association study of 21 circadian genes with bipolar I disorder, schizoaffective disorder, and schizophrenia. Bipolar Disord 2009: 11: 701–710. ª 2009

Uhrwerkgene sind Gene, deren Aktivitaet in einem gewissen Rhythmus anflutet und abebbt. Im einfachsten Fall sit das ein ca. 24-Stunden-Rhythmus. Wenn die Aktivitaet des Gens hoch ist, wird viel von dem Genprodukt gebldet; Das kann zum Beispiel ein Nerven-Botenstoff wie Dopamin sein, oder Melatonin, das fuer den Schlafrhythmus wichtig ist, oder Cortison, und vieles mehr. Es gibt auch monatliche und jahreszeitliche Rhythmen dieser Gene. UEber sie werden eine Unzahl von Stoffwechselfunktionen im Koerper gesteuert – und damit der Schlaf-Wachrhythmus, Immunabwehr, sexuelle Funktionen, Konzentration, Gefuehle und vieles mehr – alles Funktionen, die Rhythmen und Schwankungen unterliegen. Es gibt bereits viele Hinweise dafuer, dass einige dieser „Uhrwerkgene“ bei bipolaren Erkrankungen gestoert sind. Ausserdem greifen auch viele phasenprophylaktische Medikamente (zB Lithium) in deren Funktion ein. Die obige Untersuchung fand nun bei vier (von 21 untersuchten) weiteren dieser „Uhrwerkgene“ eine Assoziation mit Bipolarer Erkrankung, die jedoch nur schwach ausgepraegt war. Ingesamt passt dies in ein Bild der sogenannten „Cocktail-Hypothese“ – wo eine Vielzahl an unterschiedlichen Genen zum Gesamtbild der Erkrankung beitragt; je nach Art und Anzahl der vererbten Risikogenen kann dann die Auspraegung der Erkrankung sehr unterschiedlich sein

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